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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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der
Sozialisten willen hoffte, sie seien wohl eher Konservative (oder
Liberale, die er als ehrenwert und mißleitet, aber relativ
harmlos ansah). Ein richtiger Mann, der sich niemals drückte,
wenn es zu einer Schlägerei kam oder wenn ein Arbeitskollege ein
zweites Paar Hände zur Hilfe brauchte, ein Mann, der kein Tor
unbejubelt, kein Foul ungerügt und kein Glas ungeleert
ließ.
    Verglichen mit Dad, ähnelte seine Mum immer einem Schatten.
Sie war da, wenn er sie brauchte, um seine Kleider zu waschen und ihm
das Haar zu kämmen und ihm Sachen zu kaufen und ihn in den Arm
zu nehmen, wenn er sich das Knie aufgeschlagen hatte, aber er lernte
sie nie als Menschen kennen.
    Mit seinen Schwestern und Brüdern vertrug er sich, aber sie
waren alle älter als er (es dauerte Jahre, bis er entdeckte,
daß er »das Versehen« war), und bis er alt genug war,
um sich wirklich für sie zu interessieren, waren sie schon
erwachsen. Er wurde abwechselnd geduldet, verwöhnt und
schikaniert, je nachdem, wie ihnen zumute war; er betrachtete sich
als sehr schlecht behandelt und beneidete Kinder aus kleineren
Familien. Aber langsam begriff er, daß er im allgemeinen mehr
verwöhnt und gehätschelt als gequält und zum
Sündenbock gemacht worden war. Er war auch ihr Kind, und er war
für sie etwas Besonderes. Sie blickten immer entzückt
drein, wenn er bei einem Fernseh-Quiz die Fragen vor den Kandidaten
beantwortete, und sie waren stolz darauf – wenn es sie auch ein
wenig verwunderte –, daß er pro Woche zwei oder drei
Bibliotheksbücher las. Wie seine Mum und sein Dad zeigten sie
erst ein kleines Lächeln und dann ein langes Stirnrunzeln, wenn
sie sein Schulzeugnis sahen (ignorierten die
»Ausgezeichnet« und »Sehr gut«) und tippten mit
dem Finger auf die Sechsen in Religion (Gott, die Verwirrung,
unter der er jahrelang zu leiden hatte, weil sein Vater für den
Atheismus war, aber nicht für eine schlechte Leistung in
irgendeinem Schulfach) und in Leibeserziehung (er haßte den Turnlehrer, und das war gegenseitig).
    Sie gingen ihrer verschiedenen Wege; die Mädchen heirateten,
Sammy trat der Army bei, Jimmy wanderte aus… Morag zog wohl das
glücklichste Los, indem sie den Verkaufsdirektor einer
Büroeinrichtungsfirma aus Bearsden heiratete. Im Laufe der Jahre
verlor er allmählich den Kontakt mit ihnen, aber er vergaß
niemals den ruhigen, beinahe respektvollen Stolz, den ihre
Glückwünsche ausstrahlten – ob per Post gesandt oder
telefonisch übermittelt oder in Person abgegeben –, als er
auf der Universität angenommen wurde, obwohl es sie alle
überraschte, daß er Geologie studieren wollte statt
Englisch oder Geschichte.
    Aber die große Stadt bedeutete ihm in diesem Jahr alles. Dem
westlichen Zentrum, Glasgow und Umgebung, würde er immer zu nahe
stehen, würde immer zu viele Erinnerungen damit verbinden,
Ausflüge in seiner Kindheit und Visiten bei Tanten und
Großmüttern, alles in einem großen Haufen; es war
Teil von ihm, Teil seiner Vergangenheit. Die alte Hauptstadt, Edwins
Stadt, Edinburgh, war für ihn ein anderes Land, ein neuer und
wundervoller Ort, das im Kommen begriffene Eden, Eden vor dem
Sündenfall.
    Die Luft war anders, obwohl er nur fünfzehn Meilen von zu
Hause entfernt war, die Tage schienen zu leuchten, zumindest in jenem
ersten Herbst, und sogar Wind und Nebel waren wie etwas, auf das er
immer gewartet hatte, ein abwechselndes Entfernen und Auftragen von
Schichten, dem er sich mit einer Art glücklich
gehätschelter Eitelkeit unterwarf, als werde das alles für
ihn veranstaltet, eine Zu- und Vorbereitung.
    Er erkundete die Stadt, wann immer er konnte, zu Fuß, mit
dem Bus, er stieg Hügel hinauf und Stufen hinunter, seine Augen
nahmen unermüdlich die Steine und die Anlage und die Architektur
des Ortes mit dem ganzen besitzergreifenden Triumph eines neuen Lords
auf, der seine Ländereien inspiziert. Er stand auf dem nackten
vulkanischen Überrest, die Augen vor dem Nordsee-Wind
zusammengekniffen, und blickte über die Stadt hinweg. Er erzwang
sich durch die Güsse stechenden Regens den Weg an den alten
Docks entlang und über die Küsten-Esplanade, er
mäandrierte durch die wirren Gassen der alten Stadt, er
durchschritt die klare Geometrie der neuen, er wanderte durch den
stillen Nebel unter der Dean Bridge und entdeckte das Dorf innerhalb
der Stadt in seiner noch nicht ins Malerische übergegangenen
Baufälligkeit, und er schlenderte an sonnenhellen
Einkaufssamstagen über die berühmte

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