Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
zum Flughafen bringen. Statt dessen gingen sie
an ihrem letzten Abend zusammen aus, fuhren über die
Straßenbrücke nach Fife, dann an der Küste entlang zu
einem kleinen Restaurant in Culross. Sie nahmen seinen Wagen; er
hatte kraft seines neuen Reichtums als Mann in fester Stellung einen
kleinen neuen BMW auf Kredit gekauft. Es war eine Mahlzeit in
gedrückter Stimmung, und er trank zuviel Wein. Sie blieb
für den Flug am nächsten Tag nüchtern – sie
liebte das Fliegen, sie nahm sich immer einen Fensterplatz –,
deshalb setzte sie sich auf der Rückfahrt ans Steuer. Er schlief
im Wagen ein.
     
    Als er aufwachte, nahm er an, sie seien draußen vor der
Wohnung in Canonmills oder vor ihrer alten Wohnung in Comely Bank.
Aber weit weg, jenseits einer Meile dunklen Wassers vor ihnen,
schimmerten Lichter. Bevor sie die Scheinwerfer ausschaltete,
erhaschte er einen Blick auf etwas Großes, das über ihnen
aufragte, gleichzeitig massig und anmutig.
    »Wo, zum. Teufel, sind wir?« Er rieb sich die Augen und
sah sich um. Andrea stieg aus dem Wagen.
    »North Queensferry. Komm und sieh dir die Brücke
an!« Sie zog an seiner Jacke. Er sah skeptisch nach
draußen; die Nacht war kalt, und es regnete etwas. »Komm
schon!« rief sie. »Es wird deinen Kopf
durchpusten.«
    »Das würde ein verdammter Revolver auch«, murmelte
er und folgte ihr.
    Schilder, an denen sie vorbeigingen, warnten die Leute vor
Gegenständen, die von der Brücke fallen könnten, und
andere bezeichneten das angrenzende Land als privat. Dann kamen sie
an eine kiesbestreute Wendeschleife, ein paar alte Häuser, eine
kleine Helling, mit Gras und Ginster bewachsene Felsen und die runden
granitenen Piers der Eisenbahnbrücke selbst. Unter dem
Sprühregen, den der kalte Wind mitbrachte, erschauernd, sah er
nach oben. Das Wasser des Firth of Forth brauste und klatschte an den
nahen Felsen, und die Lichter der Bojen gingen auf dem breiten,
dunklen Fluß langsam an und aus, nach oben und nach unten.
Andrea hielt seine Hand. Flußaufwärts war die
Straßenbrücke ein hohes Gewebe aus Licht mit einem fernen
Grollen als Hintergrundgeräusch.
    »Ich liebe diesen Ort«, sagte Andrea und umarmte ihn.
Ihr Körper zitterte vor Kälte. Er hielt sie fest, sah aber
zu dem stählernen Netz hinauf, verlor sich in seiner dunklen
Kraft.
    Drei Jahre, dachte er. Drei Jahre in einer anderen Stadt.
    »Die Tallahatchie-Brücke ist eingestürzt«,
sagte er schließlich, mehr zu dem kalten Wind als zu ihr. Sie
hob das Gesicht, schmiegte ihre kalte Nase in die ansehnlichen Reste
des schönen Bartes, den er sich in den letzten beiden Jahren
hatte wachsen lassen, und fragte:
    »Was?«
    »Die Tallahatchie-Brücke. Ode an Billy Joe, Bobbie Gentry, erinnerst du dich? Das verdammte Ding ist
eingestürzt.« Er lachte kurz und verzweifelt auf.
    »Ist jemand verletzt worden?« fragte sie und legte ihre
kalten Lippen auf seinen Adamsapfel.
    »Ich weiß es nicht.« Er wurde plötzlich sehr
traurig. »Ich habe nicht einmal nachgesehen. Mir ist nur die
Schlagzeile ins Auge gesprungen.«
    Ein Zug donnerte über die Brücke, füllte die
Nachtluft mit der Baßstimme anderer Leute, die an andere Orte
reisten. Ob Passagiere der alten Tradition folgten und Münzen
aus ihren schönen warmen Wagen warfen, die wie vergebliche
Wünsche in das gleichgültige Wasser des kalten Firth
hinunterfielen?
     
    Er sagte es ihr nicht, aber er erinnerte sich, daß er in
einem Sommer vor Jahren schon einmal hier, genau an dieser Stelle
gewesen war. Ein Onkel, der ein Auto besaß, nahm ihn und seine
Eltern auf eine Fahrt durch die Trossachs und dann hinüber nach
Perth mit. Auf diesem Weg waren sie zurückgefahren. Das war vor
der Inbetriebnahme der Straßenbrücke im Jahr 1964 –
wahrscheinlich noch vor dem Baubeginn. Es war ein Bankfeiertag, und
eine meilenlange Schlange wartete auf die Fähren. Der Onkel fuhr
mit ihnen statt dessen hier hinunter, damit sie sich »eins von
Schottlands stolzesten Monumenten« ansehen könnten.
    Wie alt war er damals gewesen? Er wußte es nicht. Vielleicht
fünf oder sechs. Sein Vater hatte ihn auf die Schultern
genommen, er hatte den kühlen Granit des Piers angefaßt,
sich gereckt und gestreckt und mit den Händchen nach dem rot
angestrichenen Metall der Brücke gelangt…
    Die Wagenschlange war nicht kürzer geworden, als sie
zurückkehrten. Sie fuhren deswegen über die
Kincardine-Brücke.
     
    Andrea küßte ihn, weckte ihn aus seinen Erinnerungen
und umarmte ihn sehr fest, fester,

Weitere Kostenlose Bücher