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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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als er es ihren Kräften
zugetraut hätte, so fest, daß er beinahe Schwierigkeiten
beim Atmen bekam. Dann ließ sie ihn los, und sie gingen zum
Wagen zurück.
    Sie fuhren über die Straßenbrücke. Er sah
über das dunkle Wasser hinweg zu der undeutlichen Nachtgestalt
der Eisenbahnbrücke, unter der sie gestanden hatten. Wie eine
lange Reihe von Lichtpunkten fuhr ein Personenzug hoch über dem
Fluß dahin in Richtung Süden. Lichter wie eine Reihe von
Punkten am Ende eines Satzes, dachte er, oder an seinem Anfang. Drei
Jahre. Punkte wie bedeutungslose Morse-Zeichen, ein Signal, das nur
aus den Buchstaben E und H und I und S bestand. Die Lichter
flackerten durch die dazwischenliegenden Träger der Brücke;
die ihm näheren Kabel der Straßenbrücke sausten zu
schnell vorbei, als daß sie einen Unterschied bewirkt
hätten.
    Keine Romantik, dachte er, dem Zug nachsehend. Ich erinnere mich
noch an die Zeit, als hier Dampflokomotiven fuhren. Ich ging zu den
Bahnhöfen und wartete auf der Fußgängerbrücke
über den Gleisen, bis ein Zug herangepufft kam. Unter der
Holzbrücke explodierte der Rauch auf den Metallplatten, die zum
Schutz der Bohlen angebracht waren. Plötzlich war man für
Sekunden, die sehr lang zu sein schienen, in eine Wolke aus Dampf und
Qualm gehüllt, war in einer köstlichen Unsicherheit, einer
anderen Welt voller Geheimnisse und wirbelnder, nur halb zu
erkennender Dinge.
    Aber man schloß die Strecke, demontierte die Lokomotiven,
riß die Fußgängerbrücke ab und verwandelte den
Bahnhof in einen attraktiven, ganz einzigartigen und geräumigen
Wohnsitz mit angenehm südlicher Atmosphäre und ausgedehnten
Außenanlagen. Ganz einzigartig. Damit war alles gesagt.
    Der Zug floß über den langen Viadukt und verschwand im
Land. Einfach so. Keine Romantik. Kein Feuerwerk beim Ausstoß
von Asche und Schlacke, kein fliegender Kometenschwanz orangefarbener
Funken aus dem Schornstein, nicht einmal Dampfwolken (er würde
morgen versuchen, ein Gedicht darüber zu schreiben, aber nichts
Rechtes zustandebringen und es wegwerfen).
    Er wandte sich von der Brücke ab und gähnte. Andrea
verlangsamte die Fahrt für den Zoll. »Weißt du, wie
lange es dauert, sie anzustreichen?« fragte er sie.
    Sie schüttelte den Kopf, kurbelte auf der Zoll-Plaza das
Fenster hinunter.
    »Was, die Eisenbahnbrücke?« Sie suchte in einer
Tasche nach dem Geld. »Das weiß ich nicht. Ein
Jahr?«
    »Falsch.« Er schlug die Arme übereinander und sah
nach vorn zu dem roten Licht am hinteren Ende der Zollstation.
»Drei. Drei verdammte Jahre.«
    Sie antwortete nicht. Sie bezahlte den Zoll, und das Licht wurde
grün.
     
    Er arbeitete, er kam voran. Seine Mum und sein Dad waren stolz auf
ihn. Er kaufte sich eine kleine Wohnung, immer noch in Canonmills.
Die Firma, für die er arbeitete, erlaubte ihm, Geld bei seinem
Dienstwagen zuzulegen, so daß er, als er einmal solchen
Höhen bourgeoiser Dekadenz erklommen hatte, einen
größeren und besseren BMW statt eines Cortina fuhr. Andrea
schrieb ihm Briefe; er pflegte immer, wenn er auf sie Bezug nahm, den
gleichen alten Witz zu machen.
    John Peel spielte nachts auf Radio Eins Reggae. Er kaufte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Al Stewart. Bei
»Nachkriegs-Blues« hätte er beinahe weinen
müssen, bei »Wege nach Moskau« weinte er einmal
tatsächlich, und »Nostradamus« ärgerte ihn. Er
spielte oft Doktor Traums Geständnisse, lag mit
Kopfhörern und ausgebreiteten Armen und Beinen in der Dunkelheit
auf dem Fußboden, hinausgeschmettert aus seinem Schädel,
und summte die Musik mit. Die erste Nummer auf der zweiten Seite
hieß Irreversibler Nervenschaden.
     
    Alles folgte einem bestimmten Muster, bemerkte er Stewart Mackie
gegenüber. Stewart und Shona zogen nach Dunfermline auf der Fife
gegenüberliegenden Seite des Flusses. Nachdem Shona auf dem
Dunfermline-College für Leibeserziehung (es lag verwirrender-,
aber schlauerweise nicht in Dunfermline, sondern auf der anderen
Seite des Flusses in der Nähe von Edinburgh) zur Turnlehrerin
ausgebildet worden war, fanden sie es gut und richtig, daß sie
jetzt Lehrerin in Dunfermline selbst wurde. So ging es von der einen
ehemaligen Hauptstadt zur anderen. Stewart war immer noch an der
Universität, studierte nach der Graduierung weiter und hatte
wahrscheinlich vor, Dozent zu werden. Er und Shona nannten ihr erstes
Kind nach ihm. Es bedeutete ihm mehr, als er ihnen sagen konnte.
     
    Er reiste. Kreuz und quer durch Europa mit der Eisenbahn,

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