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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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waren zu gedankenschwer und oft zu melancholisch,
um dabei schnell und sicher zu fahren, und die Reggae-Bänder,
die er besaß – hauptsächlich Bob Marley –
entspannten zu sehr. Er wünschte, er hätte ein paar von den
Stones. Er fand ein altes Band, eines, das er beinahe schon vergessen
hatte, drehte die Motorola auf höchste Lautstärke und
spielte Rock and Roll Animal immer wieder, den ganzen Weg
hinauf nach Braemar und zurück. Eine Art von wissendem Grinsen
lag auf seinem Gesicht. »Allo?« säuselte er nasal den
Scheinwerfern eines gelegentlich vorüberkommenden Wagens zu,
»Allo? Ça va? Allo?«
    Auf dem Rückweg suchte er diesen Ort auf. Er stand unter der
großen roten Brücke, bei deren Anblick er einmal gedacht
hatte, sie habe die gleiche Farbe wie Andreas Haar. Sein Atem
dampfte, der Motor des Porsche tuckerte im Leerlauf auf der
kiesbestreuten Wendeschleife, und die Brücke hob sich im ersten
Licht als Silhouette voller Arroganz, Anmut und Kraft vor den blassen
Flammen eines winterlichen Morgenhimmels ab.
    Die Beerdigung war zwei Tage später. Er war bei seinem Vater
in dem Rauhverputz-Haus der sozialen Wohnsiedlung geblieben, nachdem
er in seiner Wohnung schnell einen Koffer gepackt und den piepsenden
Hörer auf die Gabel geknallt hatte. Seine Post ignorierte er.
Stewart Mackie kam zur Beerdigung.
    Er blickte auf den Sarg seiner Mutter hinab und wartete auf die
Tränen, die nicht kommen wollten. Erst als er seinem Vater den
Arm um die Schultern legte, merkte er, daß der Mann dünner
und kleiner als früher war und ständig leise zitterte wie
ein eben angestoßener Eisenstab.
    Sie verließen den Friedhof und trafen am Eingang auf Andrea,
die gerade aus einem Flughafen-Taxi stieg. Sie trug Schwarz und hatte
einen kleinen Koffer in der Hand. Er war nicht fähig zu
sprechen.
    Sie umarmte ihn, sprach mit seinem Vater, kam dann zu ihm und
erklärte, sie habe, nachdem ihr Gespräch unterbrochen
worden war, versucht, zurückzurufen. Zwei Tage lang hatte sie es
versucht, sie hatte ihm Telegramme geschickt, sie hatte Leute
beauftragt, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen. Am Ende
entschloß sie sich, selbst zu kommen. Sie rief in dem
Augenblick, als sie das Flugzeug verlassen hatte, Morag in
Dunfermline an und ließ sich berichten, was geschehen war und
wo die Beerdigung stattfand.
    Alles, was er sagen konnte, war: »Danke.« Er wandte sich
seinem Vater zu und umarmte ihn, und dann weinte er. Er hätte
nie geglaubt, daß seine Augen so viele Tränen enthalten
könnten, wie er in den Mantelkragen seines Vaters weinte, um
seine Mutter, um seinen Vater, um sich selbst.
    Andrea konnte nur eine Nacht bleiben; sie mußte wieder
zurück, um für irgendeine Prüfung zu lernen. Aus den
drei Jahren waren vier geworden. Warum kam er nicht nach Paris? Sie
übernachteten in dem Rauhverputz-Haus in getrennten Zimmern.
Sein Vater hatte Anfälle von Schlafwandeln und Alpträume
gehabt; er wollte mit ihm im gleichen Zimmer schlafen, um ihn
aufzuwecken, wenn er schlecht träumte, und ihn davor bewahren,
sich zu verletzen, wenn er im Schlaf umherging.
    Er fuhr Andrea nach Edinburgh. Den Lunch nahmen sie bei ihren
Eltern, dann brachte er sie zum Flughafen. »Wer war dein Freund,
der Mann, der sich in Paris am Telefon meldete?« fragte er sie,
und dann hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen.
»Gustave«, antwortete sie unbefangen. Er würde dir
gefallen. »Guten Flug«, sagte er.
    Er sah das Flugzeug in den aquamarinblauen Himmel eines frischen
Winternachmittags aufsteigen, und er folgte ihm sogar ein
Stückchen auf der Straße, als er nach Süden fuhr. Er
beugte sich über das Lenkrad des Porsche vor und starrte durch
die Windschutzscheibe nach oben, um zu beobachten, wie das Flugzeug
in das makellose Blau des wolkenlosen Himmels stieg, und er fuhr ihm
nach, als könne er die Düsenmaschine einholen.
    Gerade begann sie, einen Kondensstreifen zu erzeugen, als er sie
aus den Augen verlor. Glitzernd verschwand sie über den Pentland
Hills.
    Ihm war, als lasteten die Jahre schwer auf ihm. Eine Weile bezog
er The Times und als Gegengewicht den Morning Star. Hin
und wieder betrachtete er das Emblem am Kopf der Times und
meinte, er könne beinahe die Seiten der Gegenwart im
Vorüberblättern einfangen, beinahe das Rascheln trockenen
Papiers hören. Zukunft wurde Gegenwart, Gegenwart wurde
Vergangenheit. Eine so banale Wahrheit, so offensichtlich und
allgemein akzeptiert, daß es ihm bis dahin irgendwie gelungen
war, sie zu

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