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Die Brücken Der Freiheit: Roman

Die Brücken Der Freiheit: Roman

Titel: Die Brücken Der Freiheit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ging sie in Fredericksburg zur Kirche und verbrachte nach dem Gottesdienst ein oder zwei Stunden auf dem Friedhof. Dort stand sie einfach nur da, starrte auf den kleinen Grabstein und grübelte darüber nach, was alles hätte sein können.
    Sie war fest davon überzeugt, daß die Schuld allein bei ihr lag. Sie hatte zu spät das Reiten aufgegeben; sie hatte nicht so oft geruht, wie man ihr empfohlen hatte; sie war am Abend der Totgeburt zehn Meilen weit im Einspänner gefahren und hatte Mack obendrein auch noch ständig zu größerer Eile gedrängt.
    Sie war wütend auf Jay, weil er an diesem Abend nicht zu Hause geblieben war, auf Dr. Finch, weil er sich geweigert hatte, wegen eines Sklavenmädchens nach Mockjack Hall zu kommen, und auf Mack, weil er sich ihrem Willen gefügt hatte und immer schneller gefahren war. Vor allem aber haßte und verachtete sie sich selbst, weil sie als werdende Mutter versagt und in ihrer Ungeduld alle gutgemeinten Ratschläge in den Wind geschlagen hatte. Wäre ich anders, dachte sie, wäre ich eine normale Frau, vernünftig, gelassen und vorsichtig, dann hätte ich jetzt ein kleines Töchterchen.
    Mit Jay konnte sie nicht über ihren Kummer sprechen. Er hatte zunächst wütend reagiert. Er hatte Lizzie angeschrien, geschworen, Dr. Finch zu erschießen, und gedroht, Mack auspeitschen zu lassen. Doch kaum erfuhr er, daß das Kind ein Mädchen gewesen war, da verpuffte seine Wut, und er tat so, als wäre Lizzie niemals schwanger gewesen.
    Eine Zeitlang konnte sie mit Mack darüber sprechen. Die Geburt hatte sie einander nahegebracht. Er hatte sie in seinen Umhang gehüllt, ihre Knie gehalten und das arme Baby sanft und zärtlich behandelt. So war er Lizzie in den ersten Wochen ein großer Trost, doch dann spürte sie, daß er allmählich ungeduldig wurde. Es war nicht sein Baby, dachte Lizzie. Er kann mein Leid nicht richtig mit mir teilen. Niemand kann das.
    Mehr und mehr zog sie sich in sich selbst zurück.
    Eines Tages, drei Monate nach der Geburt, ging sie in den frisch gestrichenen Kinderflügel, setzte sich dort einsam auf einen Stuhl und stellte sich vor, wie hier ein kleines Mädchen in einer Wiege lag, fröhlich vor sich hin brabbelte oder schreiend kundtat, daß es Hunger hatte. Es trug hübsche weiße Röckchen und winzige Strickschühchen. Lizzie stellte sich vor, das Kind zu stillen und es in einer Schüssel zu baden. Die Einbildung war so realistisch, daß ihr Tränen in die Augen traten und übers Gesicht rollten, obgleich ihr kein Laut über die Lippen kam.
    In diesem Moment kam Mack herein. Während eines Sturms war Unrat durch den Kamin heruntergefallen. Er kniete sich davor und begann ihn zu säubern. Zu Lizzies Tränen äußerte er  sich nicht.
    »Ich bin so unglücklich«, sagte sie.
    Er unterbrach seine Arbeit nicht. »Das hilft dir auch nicht  weiter«, erwiderte er schließlich mit harter Stimme.
    »Von dir hätte ich mehr Mitgefühl erwartet«, gab sie traurig zurück.
    »Du kannst nicht dein ganzes Leben damit verbringen, im Kinderzimmer herumzusitzen und zu weinen. Jeder Mensch muß früher oder später sterben. Für die anderen geht das Leben weiter.«
    »Für mich nicht. Wofür soll ich denn noch leben?«
    »Tu nicht so verdammt rührselig, Lizzie - das paßt doch gar nicht zu dir.«
    Sie war schockiert. Kein Mensch hatte seit der Totgeburt auch nur ein unfreundliches Wort an sie gerichtet. Mit welchem Recht machte Mack sie noch unglücklicher, als sie ohnehin schon war? »In welchem Ton redest du mit mir?« fragte sie empört.
    Zu ihrer Überraschung drehte er sich zu ihr um. Er ließ die Bürste fallen, packte Lizzie an beiden Armen und zerrte sie aus ihrem Sessel. »Sag du mir nicht, was ich darf und was ich nicht darf!« fuhr er sie an.
    So wütend war er, daß sie fürchtete, er könnte ihr Gewalt antun. »Laß mich in Ruhe!«
    »Zu viele Leute lassen dich in Ruhe!« gab er zurück, ließ sie jedoch wieder in ihren Sessel sinken.
    »Was soll ich denn bloß tun?« fragte sie.
    »Was immer du willst! Fahr mit dem nächsten Schiff nach Hause, und zieh zu deiner Mutter nach Aberdeen. Riskier einen Seitensprung mit Colonel Thumson. Schnapp dir irgendeinen Tunichtgut, und brenn mit ihm durch, nach Westen, über die Berge…« Er machte eine Pause und sah ihr unnachgiebig ins Gesicht. »Oder entschließ dich, Jay eine gute Ehefrau zu sein, und werd so bald wie möglich wieder schwanger.«
    Dieser Vorschlag überraschte sie. »Ich dachte…«
    »Was dachtest

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