Die Brücken Der Freiheit: Roman
die ihn beschleunigte. Sie hatte Angst vor dem Anblick, der sich ihr in der Hütte bieten mochte. Die Vorstellung, Jay könne Suzy Delahaye in die Arme nehmen so wie einst sie selbst und Suzy mit denselben Lippen küssen, mit denen er sie geküßt hatte, machte sie geradezu krank vor Zorn. Sie erwog sogar, auf dem
Absatz kehrtzumachen und zurückzugehen. Doch die Ungewißheit war das ärgste von allem.
Die Tür war unverschlossen. Lizzie öffnete sie und trat ein.
Die Hütte bestand aus zwei Zimmern. Die Küche, die gleich hinter dem Eingang lag, war leer, doch aus dem Schlafzimmer dahinter drang eine leise Stimme. Lagen die beiden schon miteinander im Bett? Auf Zehenspitzen schlich Lizzie vor, packte die Klinke, holte tief Luft und riß die Tür auf.
Suzy Delahaye befand sich nicht im Zimmer.
Jay hingegen sehr wohl. Er lag in Hemd und Hose auf dem Bett, barfuß und ohne Jackett.
Am Fußende des Bettes stand eine Sklavin.
Lizzie wußte nicht, wie sie hieß. Sie war eines der vier Mädchen, die Jay in Williamsburg gekauft hatte - ungefähr in Lizzies Alter, schlank und bildhübsch, mit sanften braunen Augen. Sie war splitterfasernackt, und Lizzie konnte ihre stolzen, spitzen Brüste mit den braunen Warzen und das schwarzgelockte Haar ihres Schoßes sehen.
Doch was Lizzie nie wieder in ihrem Leben vergessen würde, war der Blick des Mädchens: Es war ein hochmütiger, verächtlicher, triumphierend er Blick. Du magst zwar die Herrin des Hauses sein, besagte er, aber der Herr kommt jede Nacht in mein Bett, nicht in deines…
Wie aus weiter Entfernung drang Jays Stimme an ihr Ohr. »Lizzie, o Gott!«
Sie sah ihn unter ihrem Blick zusammenzucken, doch seine Furcht verschaffte ihr keine Genugtuung: Sie wußte schon seit langem, daß er ein Schwächling war.
Endlich fand sie ihre Stimme wieder. »Fahr zur Hölle, Jay«, sagte sie leise, drehte sich um und ging.
Wieder in ihrem Zimmer, nahm Lizzie ihr Schlüsselbund aus der Schublade und ging hinunter in die Waffenkammer.
Ihre Griffin-Gewehre befanden sich in der gleichen Halterung wie Jays Flinten, doch Lizzie rührte sie nicht an und griff statt dessen nach einem Paar Taschenpistolen in einer Lederbox. Bei der Überprüfung des Inhalts fand sie ein gefülltes Pulverhorn, viele Leinenstreifen, mehrere Ersatzfeuersteine, aber keine Kugeln. Sie durchsuchte das ganze Zimmer, doch war nirgendwo auch nur eine einzige Kugel zu entdecken. Was sie fand, war ein kleiner Stapel Bleibarren. Sie nahm einen Barren und eine Kugelgußform - ein kleines, kneifzangenähnliches Gerät - an sich, verließ die Waffenkammer und schloß sorgfältig die Tür hinter sich ab.
Sarah und Mildred starrten ihre Herrin mit großen, angstvollen Augen an, als diese mit dem Pistolenkasten unter dem Arm in die Küche kam. Wortlos ging Lizzie zum Schrank und nahm ein kurzes Messer sowie eine kleine, schwere Kasserolle aus Gußeisen heraus, die mit einer Gießtülle versehen war. Dann kehrte sie in ihr Zimmer zurück und schloß sich ein.
Sie schürte das Feuer, bis es so heiß loderte, daß sie jeweils nur ein paar Sekunden davor stehenbleiben konnte. Dann gab sie den Bleibarren in die Kasserolle und setzte sie aufs Feuer.
Sie erinnerte sich, wie Jay mit den vier jungen Sklavenmädchen von Williamsburg zurückgekehrt war. Sie hatte ihn gefragt, warum er denn keine Männer gekauft habe, und seine Antwort hatte gelautet, Mädchen seien billiger und gehorchten besser. Sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht: Der extravagante Kauf der Kutsche war ihr viel näher gegangen. Jetzt begriff sie, und es kam sie bitter an.
Es klopfte an der Tür, und sie hörte Jay fragen: »Lizzie?« Der Türgriff wurde heruntergedrückt. Als er die Tür verschlossen fand, fragte Jay: »Lizzie, läßt du mich bitte ein?«
Sie beachtete ihn nicht. Im Augenblick war er ängstlich und hatte ein schlechtes Gewissen. Später würde er Ausreden für sein Verhalten finden und sich einreden, daß er nichts Schlimmes getan hätte. Danach würde seine Betroffenheit in Wut umschlagen - doch momentan war er völlig harmlos.
Er klopfte und rief noch eine Weile, dann gab er auf und ging fort.
Als das Blei geschmolzen war, nahm Lizzie den Topf vom Feuer und goß rasch ein wenig Blei in die Gußform. Im vorderen Teil des Werkzeugs befand sich eine runde Höhlung, die sich jetzt mit dem geschmolzenen Blei füllte. Lizzie tauchte die Form in die Wasserschüssel auf ihrem Waschtisch, so daß das Blei abkühlte und hart wurde.
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