Die Brücken Der Freiheit: Roman
kicherte. »Du siehst also, lieber Robert, daß die junge Dame es sich gar nicht leisten kann, dir einen Korb zu geben.«
Henry Drome verließ eine kleine Gesprächsrunde in der Nähe und kam auf die drei Jamissons zu. »George, bevor wir zum Essen gehen, muß ich dich noch um etwas bitten. Ich darf vor deinen Söhnen offen sprechen kann, nicht wahr?«
»Selbstverständlich.«
»Die Unruhen in Amerika haben mich ziemlich schwer getroffen - Pflanzer, die ihre Schulden nicht begleichen, und so weiter… Ich fürchte, ich kann meine Verpflichtungen dir gegenüber in diesem Quartal nicht erfüllen.«
Sir George hatte Henry offenbar Geld geliehen. Normalerweise pflegte er mit Schuldnern kurzen Prozeß zu machen: Entweder sie zahlten, oder sie wanderten ins Gefängnis. Diesmal reagierte er jedoch völlig anders.
»Kann ich verstehen, Henry. Die Zeiten sind nicht leicht. Zahl mir das Geld zurück, wenn du kannst.«
Jay stand mit offenem Mund daneben. Doch er brauchte nicht lange, um zu erkennen, was hinter Vaters Milde stand. Drome war ein Verwandter von Olivia, Roberts Mutter, und nur um ihretwillen war Vater so nachsichtig. Jay war so empört darüber, daß er auf dem Fuße kehrtmachte und davonging.
Die Damen kamen zurück. Jays Mutter schien ein Lächeln zu unterdrücken; es war, als habe man sie gerade in ein amüsantes Geheimnis eingeweiht. Bevor ihr Sohn sie fragen konnte, erschien ein weiterer Gast, ein Unbekannter im grauen Rock eines Geistlichen. Alicia unterhielt sich kurz mit ihm und führte ihn dann zu Sir George. »Das ist Mr. Cheshire«, sagte sie. »Er vertritt den Pastor.«
Der neue Gast war ein pockennarbiger, bebrillter junger Mann mit einer altmodischen Lockenperücke. Im Gegensatz zu Sir George und anderen Herren fortgeschrittenen Alters trugen junge Männer nur noch selten Perücken. Jay verzichtete gänzlich darauf.
»Reverend York läßt sich entschuldigen«, sagte Mr. Cheshire.
»Keine Ursache, keine Ursache«, erwiderte Sir George und wandte sich ab. Untergeordnete junge Kleriker interessierten ihn nicht.
Man begab sich zum Dinner. Der Essensduft vermischte sich mit dem feuchten Geruch der schweren alten Vorhänge. Auf dem langen Tisch standen erlesene Speisen: Wildbret- und Rindfleischkeulen, Schinken, ein großer gerösteter Lachs und verschiedene Pasteten. Dennoch brachte Jay kaum einen Bissen herunter.
Ob er mir die Pflanzung auf Barbados überschreiben wird, fragte er sich. Und wenn nicht - was bekomme ich dann?
Es war nicht leicht, still bei Tisch zu sitzen und zu essen, wenn man wußte, daß eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen für die eigene Zukunft bevorstand.
In gewisser Weise war ihm sein Vater völlig fremd. Sie wohnten zwar gemeinsam im Stadthaus der Familie am Grosvenor Square, doch hielten sich Sir George und Robert meistens im Speicherhaus auf, während Jay den Tag bei seinem Regiment verbrachte. Manchmal frühstückten sie gemeinsam, und gelegentlich sah man sich auch beim Abendessen. Oft nahm Sir George das Abendessen in seinem Arbeitszimmer ein und studierte dabei die Zeitungen. Jay konnte die Entscheidung seines Vaters beim besten Willen nicht voraussagen. Er stocherte lustlos in seinem Essen herum und wartete.
Mr. Cheshires Betragen war ein wenig peinlich. Zwei- oder dreimal rülpste er vernehmlich und verschüttete seinen Rotwein, und Jay beobachtete, wie er der neben ihm sitzenden Dame ziemlich ungeniert in den Ausschnitt starrte.
Man hatte sich gegen drei Uhr nachmittags zum Essen niedergelassen. Als der Winternachmittag allmählich in den Abend überging, zogen sich die Damen zurück. Kaum hatte die letzte den Raum verlassen, setzte sich Sir George auf seinem Stuhl zurecht und furzte vulkanisch.
»Jetzt geht's mir besser!« sagte er befreit.
Ein Diener brachte eine Portweinflasche, eine Tabaksdose und ein Kästchen mit Tonpfeifen. Der junge Pfarrer stopfte sich eine Pfeife und sagte: »Lady Jamisson ist eine verdammt nette Frau, Sir George, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Verdammt nett…«
Er wirkte betrunken, doch selbst in diesem Zustand hätte man ihm einen solchen Kommentar nicht durchgehen lassen können. Jay verteidigte seine Mutter. »Ich wäre Ihnen dankbar, Sir, wenn
Sie sich weiterer Bemerkungen über Lady Jamisson enthalten könnten«, sagte er frostig.
Der Gottesmann zündete sich mit einer Wachskerze die Pfeife an, inhalierte - und begann zu husten. Er hatte offensichtlich noch nie geraucht. Seine Augen tränten, er
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