Die Brücken Der Freiheit: Roman
Geld ausging, hat er versucht, in einer Grube in Clackmannan Arbeit zu bekommen. Der Grubenbesitzer hat ihn dann verraten.«
»Das ist ja das Problem. Du brauchst doch etwas zu essen. Wie willst du dir deinen Lebensunterhalt verdienen? Du kennst doch nur die Arbeit in der Kohle.«
Mack hatte ein bißchen Geld gespart, das jedoch nicht lange vorhalten würde. Aber er hatte zu diesem Thema seine eigenen Vorstellungen.
»Ich sehe zu, daß ich nach Edinburgh komme«, sagte er. Vielleicht bot sich die Gelegenheit, auf einem der schweren Pferdegespanne mitzufahren, welche die Kohle an der Schachtöffnung in Empfang nahmen und abtransportierten. Aber es war allemal sicherer, zu Fuß zu gehen. »Und dort heuere ich auf einem Schiff an. Ich hab' gehört, daß auf den Kohleschiffen ständig junge, kräftige Männer gebrauc ht werden. In drei Tagen bin ich außer Landes. Und aus dem Ausland zurückholen können sie mich nicht, weil die schottischen Gesetze anderswo nicht gelten.«
»Auf ein Schiff!« staunte Esther. Keiner der beiden hatte je eines gesehen. Sie kannten Schiffe nur von Abbildungen in Büchern. »Wo kommst du denn dann hin?«
»Nach London, denke ich.« Die meisten Kohleschiffe aus Edinburgh fuhren nach London, doch Mack hatte sich sagen lassen, daß es auch welche gab, die Amsterdam ansteuerten. »Vielleicht aber auch nach Holland oder sogar nach Massachusetts.«
»Das sind bloß Namen«, erwiderte Esther. »Wir kennen keinen Menschen, der schon einmal in Massachusetts war.«
»Die Leute dort werden Brot essen, in Häusern leben und abends zu Bett gehen - so wie anderswo auch.«
»Wahrscheinlich«, gab Esther skeptisch zurück.
»Es ist mir auch egal«, sagte Mack. »Ich gehe überallhin. Hauptsache, ich komme raus aus Schottland. Ich will dorthin, wo ein Mann frei sein kann. Stell dir das doch mal vor: Du lebst, wie es dir gefällt, nicht so, wie man es dir vorschreibt. Du kannst dir deine Arbeit selber wählen und hast jederzeit die Freiheit, dir eine andere, besser bezahlte, sauberere oder sicherere Stelle zu suchen. Du bist dein eigener Herr und niemandes Sklave mehr - wäre das nicht toll?«
Heiße Tränen rollten über Esthers Wangen. »Wann willst du gehen?«
»Ich warte noch ein oder zwei Tage. Die Wachsamkeit der Jamissons läßt dann hoffentlich schon ein wenig nach. Aber am Dienstag werde ich zweiundzwanzig. Wenn ich Mittwoch wieder hinuntergehe, habe ich ein Jahr und einen Tag nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag gearbeitet und bin wieder Sklave.«
»In Wirklichkeit bist du immer Sklave, ganz gleich, was in diesem Brief stand.«
»Aber der Gedanke, das Recht auf meiner Seite zu haben, gefällt mir. Was ich davon habe, weiß ich nicht, aber es ist nun einmal so. Die Jamissons werden dadurch zu Rechtsbrechern, ob sie es zugeben oder nicht. Ich werde also am Dienstagabend verschwinden.«
»Und ich?« fragte seine Schwester mit leiser Stimme.
»Du arbeitest am besten für Jimmy Lee. Er ist ein guter Hauer und sucht verzweifelt eine neue Trägerin. Und Annie…«
Sie unterbrach ihn: »Ich komme mit!«
Das war eine Überraschung. »Das ist ja was ganz Neues! Davon hast du bisher nichts gesagt.«
Esther hob die Stimme. »Was glaubst du eigentlich, warum ich nie geheiratet habe?« fragte sie. »Weil ich dann Kinder kriege und nie aus diesem Elend hier rauskomme!«
Es stimmte, sie war die älteste unverheiratete Frau in Heugh. Bisher war Mack allerdings der Meinung gewesen, von den Männern im Dorf sei ihr keiner gut genug. Darauf, daß sie in all den Jahren heimlich darauf spekuliert hatte, eines Tages fliehen zu können, wäre er nie gekommen.
»Das habe ich nicht gewußt!«
»Ich hatte Angst. Hab' immer noch Angst. Aber wenn du jetzt gehst, komme ich mit.«
Er sah die Verzweiflung in ihren Augen, und es tat ihm weh, ihr eine Absage erteilen zu müssen. Aber er hatte keine andere Wahl. »Frauen können sich nicht auf einem Schiff verdingen«,erklärte er. »Wir haben kein Geld für deine Überfahrt, und abarbeiten kannst du sie nicht. Ich müßte dich in Edinburgh zurücklassen.«
»Wenn du gehst, bleibe ich jedenfalls nicht hier.«
Mack liebte seine Schwester. Sie hatten immer zusammengehalten, schon bei den üblichen Streitereien unter Kindern, später dann aber auch in Auseinandersetzungen mit den Eltern und bei Konflikten mit der Grubenleitung. Auch wenn Esther manchmal an der Klugheit ihres Bruders zweifelte, verteidigte sie ihn, wenn's drauf ankam, wie eine
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