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Die Brücken Der Freiheit: Roman

Die Brücken Der Freiheit: Roman

Titel: Die Brücken Der Freiheit: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Gang, als er sich vom Schachteinstieg entfernte, ein wenig wacklig. Auf der Treppe hatte er jedoch keinerlei Unsicherheit gezeigt.
    Mit der Morgendämmerung war erst in einigen Stunden zu rechnen. Inzwischen hatte es zu schneien begonnen, und was Lizzie da entgegenblies, waren keine sanften Flocken, sondern von heftigem Wind vorangepeitschte Eispartikel. Unter den letzten Bergarbeitern und Trägerinnen, die aus dem Schacht stiegen, erkannte Lizzie Jen, die junge Frau, deren Kind am Sonntag getauft worden war. Obwohl das Baby nicht viel älter sein konnte als eine Woche, schleppte die arme Frau einen vollen Korb. Sie hätte sich nach der Geburt doch unbedingt erholen müssen, dachte Lizzie. Jen schüttete den Inhalt des Korbes auf die Halde und reichte dem Kontrolleur ein Kerbholz. Wahrscheinlich dienen die Kerben am Wochenende zur Berechnung des Lohns, sagte sich Lizzie. Und vielleicht braucht Jen das Geld so dringend, daß sie sich keine Erholungspause leisten kann.
    Lizzie konnte sich nicht von Jens Anblick losreißen. Irgend etwas schien sie zu bedrücken. Die Kerze in Kopfhöhe haltend, lief Jen zwischen den vielleicht siebzig oder achtzig Bergleuten hin und her, versuchte, durch das Schneetreiben etwas zu erkennen, und rief immer wieder: »Wullie! Wullie!« Offenbar vermißte sie ein Kind. Endlich entdeckte sie ihren Mann und wechselte ein paar schnelle, angstvolle Worte mit ihm. Dann schrie sie »Nein!«, rannte zur Treppe und kletterte wieder hinunter in den Schacht.
    Der Ehemann lief ihr nach, blieb am Schachteingang stehen, blickte sich um. Er war außer sich vor Aufregung und Sorge.
    »Was ist passiert?« fragte Lizzie.
    »Wir können unseren Jungen nicht finden.« Seine Stimme zitterte. »Jen glaubt, daß er noch unten im Stollen ist.«
    »O Gott!« Lizzie spähte über den Rand. Tief unten war etwas zu sehen, das an eine brennende Fackel erinnerte. Doch noch während sie da stand und hinuntersah, bewegte sich das Licht und verschwand im Stollen.
    Es war nicht das erste Mal, daß Mack sich dieser Prozedur unterzog, doch diesmal hatte er mehr Angst als je zuvor. Noch nie hatten sie eine so hohe Grubengaskonzentration feststellen können wie diesmal, und während das Gas bei früheren Anlässen mehr oder weniger langsam eingesickert war, hatte es sich diesmal ungemein schnell gebildet. Sein Vater hatte dagegen mehrfach mit größeren Gasaustritten zu tun gehabt und sein Körper war, wie Mack am Samstagabend, wenn Vater sich vor dem Feuer wusch, sehen konnte, mit den Narben alter Brandwunden übersät gewesen.
    In seiner mit eisigem Wasser getränkten Decke war es so kalt, daß Mack am ganzen Leibe schlotterte. Stück für Stück zog er die brennende Fackel näher an sich und das Gas heran. Um sich von seiner Furcht zu befreien, dachte er an Annie. Sie waren gemeinsam aufgewachsen und hatten einander immer gemocht. Annie hatte eine wilde Seele und einen kräftigen Körper. Nie zuvor hatte sie ihn vor anderen Leuten geküßt, unter vier Augen dagegen um so öfter. Sie hatten ihre Körper erkundet und miteinander gelernt, wie man sich gegenseitig Freude bereitete. Sie hatten dies und das probiert, alles eigentlich, nur eben das nicht, was Annie als »Kindermachen« bezeichnete, aber viel gefehlt hatte dazu auch nicht mehr.
    Es half nichts. Die furchtbare Angst ließ sich nicht vertreiben.
    Um sich zu beruhigen, stellte er sich ganz nüchtern die Ausbreitung des Gases im Stollen vor. Die Mulde, in der er lag, befand sich an einer der tiefsten Stellen, weshalb man davon ausgehen konnte, daß die Konzentration hier unten vergleichsweise gering war. Genau wußte man das aber auch erst, wenn sich das Gas entzündete. Er hatte Angst vor Schmerzen und wußte, daß Brandwunden die reinste Folter waren. Vor dem Tod fürchtete er sich eigentlich nicht. Obwohl er nicht viel über Religion nachdachte, war Gott in seiner Vorstellung gnädig und barmherzig. Nur - Malachi McAsh wollte noch nicht sterben; er hatte noch nichts geleistet, noch nichts erlebt, noch nichts von der Welt gesehen, war sein gesamtes bisheriges Leben lang nur Sklave gewesen und sonst nichts. Wenn ich diese Nacht überlebe, gelobte er sich, werde ich noch am gleichen Tag das Tal verlassen. Ich werde Annie zum Abschied noch einmal küssen, Esther alles Gute wünschen und den Jamissons furchtlos entgegentreten, so wahr mir Gott helfe!
    Aus der Länge der Schnur, die sich zwischen seinen Fingern angesammelt hatte, konnte er schließen, daß die Fackel

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