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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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zurückzukehren, um sich einberufen zu lassen. Ein Krieg, falls
es denn einen geben würde, war keine Sache der Arbeiterklasse. Ein Krieg sollte nicht zwischen Schweden und Norwegern ausgetragen werden, dieser Krieg wäre ein Krieg der schwedischen Bourgeoisie – möglicherweise im Verbund mit der norwegischen Bourgeoisie – gegen alle Arbeiter, die ohnehin nur als Kanonenfutter dienen würden. Der proletarische Internationalismus würde alldem ein Ende bereiten, denn weder norwegische noch schwedische Kameraden würden sich einem Krieg der Bourgeoisie anschließen.
    Sollte es wirklich zu einem Krieg kommen, hatte die norwegische Mehrheit der Arbeiter hier oben entschieden, die Schweden höchstens zu verprügeln, aber nicht zu feuern. Und zwar nicht nur wegen des proletarischen Internationalismus, sondern weil das den Akkord verderben würde. Die Lage war also nicht so kritisch, wie Lauritz erst befürchtet hatte. Die Arbeit würde wie normal fortschreiten, Krieg hin oder her. Und bis nach Finse und Hallingskeid kamen erst einmal keine Soldaten und am allerwenigsten schwedische.
    Sehr viel mehr war nicht zu sagen. Die Versammlung wurde beendet, und alle kehrten an ihre Arbeit zurück.
    Lauritz nahm Johan Svenske beiseite, um ihn darauf vorzubereiten, dass er während der nächsten zehn Tage die alleinige Verantwortung für die Baustelle übernehmen musste, da er in einer dringenden Angelegenheit verreisen würde.
    Es kam ihm fast wie Fahnenflucht vor, die Arbeit in dieser kritischen Phase zu verlassen. Daher leitete er die Unterhaltung mit einem ganz anderen Thema ein.
    »Kamerad Johan«, begann er halb im Scherz. »Da ist
etwas am Sozialismus, was ich nicht begreife. Bin ich wirklich dein Klassenfeind?«
    Johan lächelte breit und musste nicht einmal sonderlich lange nachdenken. Das Thema schien ihm zu gefallen. Er antwortete:
    »Du bist Ingenieur, gehörst also dem Bürgertum an«, begann er.
    »Aber ich bin in einer Fischerfamilie zur Welt gekommen, einer armen Fischerfamilie, und die muss doch wohl zur Arbeiterklasse gehören«, fiel ihm Lauritz ins Wort, ohne seine Verärgerung zu verbergen.
    »Natürlich. Aber jetzt gehörst du zur Bourgeoisie«, grinste Johan amüsiert. Er schien die Frage nicht so ernst zu nehmen wie Lauritz.
    »Irgendwann also, genauer gesagt während meines Studiums habe ich mich also in deinen Klassenfeind verwandelt?« , hakte Lauritz nach.
    »Jetzt reg dich nicht auf, Kamerad Ingenieur. Ich will dir die Sache erklären«, fuhr Johan fort, ohne sich um Lauritz’ Verärgerung zu kümmern. »Man wird in eine Klasse hineingeboren, die Arbeiterklasse oder das Bürgertum. So weit ist alles einfach. Aber wenn man wie du eine Ausbildung erhält, kann man aufsteigen. Immer mit der Ruhe! Das ist nicht das Entscheidende, denn es besteht ein Unterschied zwischen Klassenzugehörigkeit und Klassenstandpunkt. Ein Arbeiter kann seine Klasse verraten und für die Bourgeoisie und die Streikbrecher Stellung beziehen. Insbesondere wenn er zu diesen scheinheiligen Sektenanhängern gehört und glaubt, dass es Gerechtigkeit erst nach dem Tod gibt. Gott steht nämlich auf der Seite des Bürgertums. Ein Ingenieur kann auf dieselbe Art Klassenverrat
begehen, insbesondere wenn er aus der Arbeiterklasse stammt und sich für die Linke einsetzt. So einfach ist das.«
    »Das ist ja tröstlich zu hören«, murmelte Lauritz. »Dann könnten wir ja vielleicht jetzt, gewissermaßen von Kamerad zu Kamerad, über die eigentliche Arbeit sprechen?«
    Johan schob sich als Antwort eine große Prise Snus unter die Oberlippe, das tat er immer vor wichtigen Beschlüssen. Lauritz rollte seine Pläne aus und erklärte gewissermaßen nebenbei, dass sie die nächsten zehn oder zwölf Tage planen müssten, da er so lange verreist sei.
    Johan Svenske verzog bei diesem Bescheid keine Miene und wirkte nicht im Mindesten besorgt, was Lauritz erleichterte, aber auch etwas kränkte.

    Am nächsten Morgen begab sich Lauritz direkt nach dem Frühstück nach Voss. Die Schneeschmelze war in diesem Jahr ungewöhnlich früh, an Skilaufen war nicht zu denken. Er würde die ganze Strecke zu Fuß gehen müssen und wieder Muskelkater in den Waden und schmerzende Füße haben, weil er in den letzten sieben Monaten sehr wenig zu Fuß gegangen, aber umso mehr Ski gelaufen war.
    Als er gegen Abend bei der Direktion in Voss eintraf, holte man gerade vorschriftsmäßig die Fahne ein. Irgendetwas kam ihm an der Fahne ungewohnt vor, und dann sah er auch,

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