Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Nichtsdestotrotz habe ich gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, zumindest soweit es mir meine begrenzten finanziellen Möglichkeiten erlauben. Wenn Du nach Kiel kommst – ich gehe nämlich davon aus, dass Du das tust, mein Geliebter, Du musst! –, wirst Du zuerst Boysens Schifferkleidung in der Uferstraße aufsuchen (alle wissen, wo dieser Laden liegt). Die Kleider, die ich für Dich bestellt habe, sind eine Matrosenuniform mit schwarz-weißer Standarte und ein blaues Jackett, wie es hier in Kiel während der Regattawoche getragen wird, und zwar immer, wenn nicht ausdrücklich Frack verlangt wird. So gekleidet kann Dich zumindest niemand als einen Wilden aus Nordgermanien bezeichnen.
Bei näherem Nachdenken muss ich zugeben, dass mein Misstrauen möglicherweise übertrieben wirkt. Aber die Einladung meines Vaters, die Du vielleicht schon erhalten hast, ist die Folge eines heftigen Streites zwischen uns beiden, so würde mein Vater es formulieren, oder einer intensiven Debatte, wie ich es nenne. Es ging ganz richtig um die Kieler Woche,
zu der er mich jetzt zum zigsten Mal wieder hinschleppen will. Erst weigerte ich mich und sagte, jetzt sei es genug, und sosehr er sich auch anstrenge, würde ich doch niemals eine der Bekanntschaften von dort heiraten. Ich heirate Dich oder niemanden!
Er wartet auf Deine Antwort, und wenn er sie erhalten hat, wird er, gewissermaßen nebenbei, erwähnen, dass er dieses Jahr bei der Regatta einen neuen Mitsegler an Bord hat … Damit hat er mich natürlich an der Angel, und dessen ist er sich natürlich sehr bewusst. Aber was bezweckt er damit? Hier schließt sich also der Kreis meiner Überlegungen. Ich gehe davon aus, dass während der Kieler Woche meine Sittsamkeit genauestens überwacht wird. Wir werden im Hotel keinesfalls Zimmer nebeneinander bekommen. Aber Christa kommt auch, und ihre Kammerzofe Bärbel ist nicht nur eine unserer Vertrauten im geheimen Frauenclub, sondern auch sehr listig. Auf mindestens eine gemeinsame Nacht werden wir in Kiel wohl hoffen können.
Eine Weile lang habe ich erwogen, mit Deinem freundlichen Beistand schwanger zu werden. Damit wären einige Probleme gelöst, aber es würde auch ein neues Problem entstehen, da Du noch auf zwei Jahre verpflichtet bist. Aber anschließend, mein Geliebter! Es wäre wunderbar, Dich heiraten zu müssen. Außerdem wäre es nur zu gerecht, wenn ich mich auf diese Weise an meinem verstockten Vater rächen könnte. Ich möchte Dich mit diesem Vorschlag ganz zum Schluss noch in Versuchung führen, damit mein in aller Hast hingeschmierter Brief nicht nur aus Intrigen und Verhaltensmaßregeln besteht.
Ich schicke Dir tausend Küsse, sehne mich wie immer und freue mich sehnsüchtigen Herzens auf die Eventualität einer
baldigen Begegnung, sei es auch nur in Kiel, einem der trostlosesten Orte Deutschlands. Aber solltest Du kommen, so wird sich Kiel in den wunderbarsten Ort überhaupt verwandeln.
Für ewig die Deine,
Ingeborg
Lauritz’ Hände zitterten vor Aufregung, als er den Brief beiseitelegte. Er hatte den Brief so konzentriert gelesen, wie es ihm sein Rausch erlaubte, bis zum Schluss mit den erotischen Avancen. Natürlich wünschte er sich mehr als alles, Kinder mit Ingeborg zu haben! Aber er pflichtete ihr bei, dass das in den nächsten zwei Jahren eine Unmöglichkeit war. Kein Ingenieur hatte im Fjell eine Frau dabei.
Aber in zwei Jahren in Bergen. Er würde für sie eine große Wohnung in einer der vornehmsten Straßen in Nordnes mieten, eine Bleibe, wie sie einem Teilhaber von Horneman & Haugen angemessen war.
Gleichermaßen berauscht vom Whisky wie vom Glück, musste er das Bedürfnis unterdrücken, sein Schreibzeug hervorzuholen, um Ingeborg eine innige Liebeserklärung zu schicken und ihr von den Möglichkeiten zu berichten, die sich ihm seit heute eröffneten.
Er sah jedoch ein, dass er zu betrunken war, um sich angemessen auszudrücken. Außerdem war da noch der Brief des Barons.
Dieser war knapp und formell:
Sehr verehrter Herr Diplomingenieur Lauritzen, ich habe hiermit das Vergnügen, Sie als Mitsegler auf meine Jacht einzuladen, um an den Regatten bei der Kieler Woche
teilzunehmen. Ich muss gestehen, dass diese Einladung sehr kurzfristig erfolgt, aber es verhält sich so, dass einer meiner Helfer überraschend absagen musste. Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie sich die Zeit nehmen könnten. Für Ihre Unterbringung wird selbstverständlich gesorgt. Meine Telegrammadresse lautet:
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