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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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das niemandem auf, aber in Bergen war das etwas ganz anderes.
    Bald glitt vor dem Fenster die sommergrüne Fjordlandschaft vorbei. Die Blüten der Apfelbäume hingen über den Hängen wie weiße Wolken, Kühe grasten auf den Weiden, und Kinder hüteten Ziegen. Jedes Mal war diese Verwandlung gleichermaßen wunderbar, obwohl er wusste, dass sie kommen würde.
    Im Unterschied zu seinen letzten Reisen hatte er jetzt das Gefühl, dass sein Herz heftiger klopfte. Er war auf dem Weg zur Kieler Woche. Dort würde er Ingeborg treffen
und vielleicht sogar eine Nacht mit ihr verbringen. Hätte ihm das jemand vor vier Tagen erzählt, wäre es ihm so unwahrscheinlich wie eine Reise zum Mond vorgekommen. Ob wohl wirklich ein Deutscher vor Ende des Jahrhunderts auf dem Mond landen würde, wie der Rektor der Ingenieurhochschule das in seiner Rede am Examenstag vorhergesagt hatte? Das kam ihm noch unwahrscheinlicher als seine eigene Reise nach Kiel vor.
    Wie man mithilfe von Maschinen das Luftmeer bezwingen wollte, war eine Sache. Die Theorien waren einfach. Entweder bediente man sich des Prinzips »leichter als Luft« wie bei Heißluftballons, eine Methode, die bereits seit dem 18. Jahrhundert bekannt war, oder man machte sich den Luftwiderstand mithilfe mechanischer Kraft zunutze. Dasselbe Prinzip wie bei einer Schiffsschraube, auch das war nicht schwer zu verstehen.
    Aber wie war es im luftleeren Weltraum? Jules Verne hatte sich eine gigantische Kanone vorgestellt. Aber wie um alles in der Welt sollte der Mensch, der durch alle Luftschichten der Erde in die Schwerelosigkeit geschossen worden war, wieder zurückkehren? Er hatte vergessen, wie Jules Verne dieses Problem gelöst hatte, vermutlich, weil der Vorschlag des Autors unmöglich funktionieren konnte.
    Der Bahnhof von Bergen war nach wie vor ein hässliches Provisorium. Hier harrte der Firma Horneman & Haugen wirklich eine Aufgabe.
    Das erste und, wie sich bald zeigen sollte, noch vergleichsweise harmlose Ungemach bestand darin, dass der Friseur anderweitig beschäftigt war, als Lauritz im Missionshotel eintraf, und niemand wusste, wann er wieder auftauchen würde.
    Es wäre Zeitverschwendung gewesen, auf seine Rückkehr zu warten. Lauritz eilte also in die Stadt, um seine Einkäufe zu erledigen. Die Besprechung mit der Bank war für drei Uhr vereinbart.
    Als er mit seiner inzwischen immerhin halb vollen Reisetasche ins Hotel zurückkehrte, war der Friseur immer noch nicht erschienen, aber die junge Frau am Empfang versicherte, dass er jeden Augenblick kommen müsste.
    Darin irrte sie, wie Lauritz viel zu spät erkannte. Wenn er sofort wieder in die Stadt gegangen wäre, hätte sich das Problem sicher lösen lassen, jetzt hatte er seine kostbare Zeit mit Warten verschwendet. Er musste also mit einem Bart und einer Frisur wie ein Bahnarbeiter die Bank aufsuchen.
    Der Chefprokurist Michal Mathiesen hatte sein großes Büro im zweiten Stock. Lauritz musste vor der großen braunen Flügeltüre warten. Eine Viertelstunde nach der vereinbarten Zeit erschien ein Bedienter, öffnete und ließ ihn ein.
    An den Wänden des großen Raumes hingen gigantische Marinemalereien, und neben den drei Doppeltüren standen mit Marmormalerei versehene Holzsäulen.
    Mathiesen, der etwa zehn Jahre älter als Lauritz sein mochte, trug einen Gehrock, eine Seidenweste, eine Krawatte mit einer kleinen Perlennadel sowie sehr spitze, glänzende schwarze Schuhe. Seine Hosen hatten messerscharfe Bügelfalten, und sein Händedruck war etwas weich, fast verängstigt, als befürchte er, sich schmutzig zu machen, indem er diesem Strolch die Hand reichte. Sein gezwirbelter und gewachster Schnurrbart stand in zwei Spitzen seitlich ab, und seine Augen ließen offen Verachtung erkennen.
    Lauritz verfluchte den saumseligen Friseur und versuchte sich einzureden, dass es genüge, sich seinem Städter-Ich gemäß zu verhalten.
    »Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Diplomingenieur«, sagte Mathiesen und deutete auf einen kleinen, mit hellblauer Seide bezogenen Stuhl, der vor dem dunklen, auf Hochglanz polierten Schreibtisch stand. »Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise von der … Vidda? Heißt es nicht so in Ihren Kreisen? Vidda?«
    »Ja, das hat seine Richtigkeit.«
    Der Bankmann bündelte sorgfältig einige Papiere vor sich auf dem Schreibtisch und tat so, als studierte er sie eine Weile lang interessiert, bevor es ihm behagte, aufzuschauen und sich erneut zu äußern. Er strahlte etwas Feindseliges und vage

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