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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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was es war. Die schwedischen Farben in der oberen linken Ecke fehlten, sie waren weggeschnitten oder übernäht worden. Eine Kleinigkeit, konnte man meinen, ein kleines trotziges Detail, aber doch etwas, was in ihm ein Gefühl der Feierlichkeit auslöste. Norwegen war frei.
    Oberingenieur Skavlan lud ihn zu einem großartigen
Abendessen ein. Es wurde Milchlamm serviert. Die Steaks waren so winzig und schmackhaft, dass es einem wie eine Sünde vorkam, dass die Tiere so früh geschlachtet worden waren. Lauritz, der immerhin auf einem Hof aufgewachsen war, auf dem auch Schafe gehalten wurden, hatte noch nie so etwas Feines gekostet. Sie aßen in der Küche, Skavlan, seine Frau und Lauritz. Es gab Wein und warmen Apfelkuchen zum Dessert. Skavlan bestand darauf, dass bei Tisch nicht über Politik gesprochen wurde.
    Nach dem Essen lud Skavlan Lauritz ein, ihn zu einem Glas Whisky mit Soda in die Bibliothek zu begleiten. Jetzt war es ihm umso wichtiger, über Politik zu sprechen. Lauritz fiel auf, dass die Ingenieure vor dem 7. Mai 1905 nur ausnahmsweise über Politik gesprochen hatten. Jetzt taten sie nichts anderes mehr.
    Skavlan glaubte genauso wenig wie Lauritz an einen bevorstehenden Krieg, aber aus ganz anderen Gründen. Er meinte, dass ein Land wie Norwegen unmöglich von einem feindlichen Heer eingenommen werden könne, noch unmöglicher sei es, Norwegen dauerhaft zu besetzen. Wenn es selbst den Norwegern schwerfalle, sich wegen der Gebirge und Fjorde im eigenen Land fortzubewegen, wie sollte es dann erst den armen schwedischen Soldaten ergehen?
    Sie verbrachten einige Zeit mit militärisch-strategischen und politischen Betrachtungen, dann wechselte Skavlan endlich das Thema und kam sofort zur Sache. Ob ihm Horneman & Haugen ein Angebot unterbreitet hätte?
    Lauritz konnte das nur bestätigen, versicherte aber, dass er zur Bedingung gemacht habe, in den Betrieb erst einzutreten, wenn die Bergenbahn fahrplanmäßig verkehre.
Skavlan schien dies sehr zu erleichtern, was Lauritz nutzte, um ihm mitzuteilen, dass er dieses Mal einen längeren Urlaub als sonst nehmen müsse, nämlich fast zwei Wochen.
    Skavlans Miene verfinsterte sich.
    »Man reicht ein Urlaubsgesuch ein, man teilt das nicht einfach mit, als wäre es ein eigener Beschluss«, sagte er streng. »Stehen die eigentlichen Steinarbeiten des Brückenbogens nicht unmittelbar bevor?«, fuhr er fort. »Das scheint mir ein äußerst unpassender Zeitpunkt für einen verlängerten Urlaub zu sein. Ich hoffe, du hast einen triftigen Grund.«
    »Allerdings«, erwiderte Lauritz.
    »Ach?«
    »Zweifellos.«
    »Na, lass hören!«
    »Ich will nach Kiel, um die Frau zu treffen, die ich liebe und heiraten will und die ich seit vier Jahren nicht mehr gesehen habe«, antwortete Lauritz verbittert und langsam.
    Er wollte einen ablehnenden Bescheid nicht akzeptieren.
    »Ich werde auch ihren Vater treffen«, fuhr er fort. »Mit etwas Glück ist jetzt endlich der Zeitpunkt gekommen, um ihre Hand anzuhalten.«
    Skavlan verzog erst keine Miene. Er schien immer noch erzürnt darüber zu sein, dass sich Lauritz seinen Urlaub selbst genehmigt hatte. Dann heiterten sich seine finsteren Züge jedoch auf, was sein mageres, zerfurchtes, braun gebranntes Gesicht vollkommen veränderte.
    »Dann wünsche ich dir viel Glück!«, sagte er. »Auf diese gute Nachricht sollten wir mit einem weiteren Glas anstoßen.«

    Lauritz nahm den frühen Zug nach Bergen.
    Die Stadtkleider, die ein Jahr lang in der Verwaltung im Schrank gehangen hatten, in den er jetzt seine Arbeitskleidung gehängt hatte, rochen nach Mottenkugeln. Die Reisetasche, die er mitgenommen hatte, war leer, er musste vor seiner Weiterreise ein Paar schwarze Schuhe kaufen, die er abends tragen konnte, Wäsche, ein paar gestärkte Kragen des neuen, nicht ganz so hohen Typs, mindestens drei weiße Hemden, einige neue Krawatten, dünne Strümpfe für abends und eventuell eine Weste für tagsüber und eine für abends. Rechnete man dazu noch die Fahrtkosten nach Kiel, so verschwand die Hälfte der bescheidenen Summe, die er auf einem Konto bei Bergens Privatbank zusammengespart hatte.
    Der Dampfer nach Jütland lief am nächsten Morgen aus, ihm stand also nur dieser eine Tag zur Verfügung, um alles zu erledigen – und auf die Bank zu gehen. Vorher musste er sich noch im Friseursalon im Missionshotel rasieren und die Haare schneiden lassen. Wie immer um diese Jahreszeit sah er aus wie ein Wilder. Im Fjell und in der Direktion in Voss fiel

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