Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Kaiserhof zu dem kleineren Seglerhotel hätten zig Leute sie wiedererkennen müssen, trotz Verkleidung. Aber Dienstmädchen wurden von niemandem wahrgenommen, sie galten nicht als Menschen, sie hätten genauso gut drei vorbeisegelnde Möwen sein können. Diese alte, unmenschliche Welt müsse weg.
Bärbel hatte ihnen den Tipp gegeben. Christa und sie waren anfangs nicht sehr überzeugt gewesen, als sie den Kaiserhof verließen. Aber nach nur wenigen Sekunden war ihnen klar, dass Bärbel erschreckend recht gehabt habe.
Pünktlich zur vereinbarten Zeit klopfte es an der Tür. Draußen standen bester Laune Christa und Bärbel. Als Bärbel energisch begann, Ingeborgs Spitzenhäubchen zurechtzurücken, mussten sie die Türe schließen.
Was für eine brutale Antiklimax. Ihr unromantisches letztes Gesprächsthema, dann der merkwürdig jähe Abschied. Er blieb mit hängendem Kopf wie versteinert im Zimmer zurück.
Da klopfte es an der Tür. Er öffnete vorsichtig. Ingeborg hielt ihm ihren Mund für einen raschen Abschiedskuss hin.
»Wenn ich jetzt nicht schwanger bin, werde ich es wohl nie«, flüsterte sie und verschwand.
Das lag nun drei Tage zurück. Eine andere Welt. Jetzt lag er unter seiner Daunendecke in Hallingskeid und ließ die erotischen Erinnerungen vor seinem inneren Auge Revue passieren. Es war unfassbar, dass sie sich jetzt fast ein Jahr lang nicht sehen würden. Falls sie nicht tatsächlich schwanger geworden war. Was würde in diesem Fall geschehen?
Keiner der Ingenieure im Fjell hatte eine Frau, alle waren Junggesellen. Es hätte zwar gegen keine Vorschriften verstoßen, aber die Welt, in der sie lebten, eignete sich nur schlecht für Frauen und noch schlechter für Kinder.
Als er drei Wochen später einen Brief von ihr erhielt, in dem stand, dass ihr Plan nicht geglückt sei, stieß er spontan einen Seufzer der Erleichterung aus und schämte sich ein wenig, weil das illoyal Ingeborg gegenüber war.
Aber der wenig romantische Abschied, als sie sich mit ihrer Verkleidung abgemüht hatte, hatte ihm zu denken gegeben. Sie vertrat politisch radikale Ansichten, sie war
eine Freidenkerin, die mit derselben Sicherheit wie ein Mann diskutierte, oft sogar vernünftiger. Kein Gesprächsthema war ihr fremd, und vermutlich hatte er sich deswegen bereits nach sehr kurzer Bekanntschaft bis über beide Ohren in sie verliebt. Aber manchmal machte ihre politische Radikalität sie blind für die Wirklichkeit. Es stimmte nicht, dass sie nur ein Dach über dem Kopf, Essen auf dem Tisch und seine unverbrüchliche Liebe brauchte. Sie wusste nicht einmal, wie man das Haar unter einem Spitzenhäubchen hochsteckte, da sie ihr ganzes Leben von Dienstboten umgeben gewesen war.
XIV
OSCAR
Deutsch-Ostafrika, September 1905
Die Dusche bestand aus einer Tonne auf einem Holzgestell hinter seinem Zelt, die von Schilfmatten umgeben war. Von der Tonne führte ein Schlauch zu einem Duschkopf aus einer perforierten Konservendose. Die Schwerkraft erledigte den Rest. Die Dusche funktionierte ausgezeichnet, und das in der Dämmerung kühle Wasser stellte in der heißen Zeit einen schwer zu übertreffenden Genuss dar.
Zum Abendessen gab es ein Gericht aus Perlhühnern, jedoch ohne Wein in der Soße. Hassan Heinrichs Kochkünste hatten sich zusehends verbessert. Nachdem Oscar frisch rasiert, satt und abgekühlt mit Hassan Heinrich Platz genommen hatte, um Konversation zu üben, schlug er eine Änderung vor. Er sprach Deutsch, und Hassan Heinrich antwortete auf Swahili, dann entgegnete er selbst etwas auf Swahili und wurde korrigiert, wenn er Fehler machte, und probierte es noch einmal. In Zukunft wollten sie nur noch konversieren, er auf Deutsch und Hassan Heinrich auf Swahili. Inhaltlich waren ihre seit mehreren Jahren andauernden Konversationsstunden recht dürftig gewesen, da es sich mehr um Sprachunterricht als um wirkliche Gespräche
gehandelt hatte. Jetzt wollte er mehr über Hassan Heinrich erfahren, es war an der Zeit. Er hatte fast ein schlechtes Gewissen wegen seines bisher mangelnden Interesses. Seine Freundschaft mit Kadimba war eine Ausnahme, weil sie sich oft in Situationen befanden, in denen ihr Leben davon abhing, dass sie einander gut kannten. Sie mussten in jedem Augenblick wissen, was der andere zu tun gedachte. Außerdem hatte ihm Kadimba das Leben gerettet.
Anfänglich war Hassan Heinrich scheu und zögerlich, als sie diese neue Gesprächsform ausprobieren wollten. Aber angesichts von Oscars regem Interesse floss
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