Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Jahren verheiratet war, liebte sie nach wie vor ihren Mann, auch wenn das allen modernen Theorien zuwiderlief.
Sie überlegte, dass dies der Wendepunkt sein könnte. Sie lag in einem funkelnden, blau gefliesten und mit klassizistischen Säulen dekorierten Bad, die Temperatur des Wassers war perfekt, und sie hörte die Kinder im Nachbarzimmer spielen, ohne miteinander zu streiten. In der Küche herrschte Hochbetrieb, und so, wie das Wetter war, würde man vermutlich für Lauritz und sie in der Laube decken, was ohnehin nur an wenigen Tagen im Jahr möglich war. Lauritz hatte gesagt, er hätte etwas Wunderbares zu erzählen, genau wie sie auch.
War genau dieser Augenblick der Höhepunkt ihres Lebens?
Und morgen spülte eine gewaltige Flutwelle über Bergen hinweg, die englische Flotte griff an, und die Pest suchte wie schon 1350 die Stadt heim. Heute die Freude, morgen der Pesttod?
Nein, einen Krieg würde es nie mehr geben, schließlich hatte die Menschheit das Jahr 1913 erreicht. In diesem Punkt hatte Lauritz sie überzeugt.
Die Pest wäre an sich ein interessantes medizinisches Problem gewesen, das man mit den medizinischen Erkenntnissen des 20. Jahrhunderts hätte angehen können.
Und wenn nun plötzlich ein gigantischer Meteorit aus einer unbekannten Bahn auf die Erde stürzte und ausgerechnet Bergen traf?
Theoretisch möglich, mathematisch unwahrscheinlich.
Das Haar noch etwas bürsten, das neue hellblaue Abendkleid anziehen, das etwas enger geschnitten und etwas kürzer war. Größere Sorgen gab es nicht. Das war alles.
Zum Abendessen war in der Laube gedeckt worden. Es brannten Kerzen, obwohl die Sonne gerade rot glühend über dem Meer unterging.
Lauritz war strahlender Laune, er war frisch rasiert, duftete gut und trug einen Frack, was er sonst nie tat, wenn sie ausnahmsweise einmal allein aßen.
Mit einer ausholenden Geste deutete er auf die Vorspeise: russischer Kaviar wie beim Abschlussdiner der Kieler Woche.
»Wo hast du den Kaviar her?«, fragte sie ohne böse Hintergedanken.
»Aus Kiel«, erwiderte er triumphierend. »Nach der Kieler
Woche bleibt immer einiges übrig, und mittlerweile erfreuen wir uns ja bester Verbindungen zum Restaurantchef des Kaiserhofs.«
Kaiserhof. Sie sehnte sich wirklich nicht dorthin zurück. Das war ein anderes Leben gewesen. Gegen Kaviar hatte sie natürlich nichts einzuwenden, gegen den salzigen, metallischen Geschmack, der mit nichts anderem vergleichbar war. Trotzdem war es nur Kaviar. Hochzeitskaviar. Seglerkaviar. Geburtstagskaviar. Siegerkaviar aus irgendeinem Grund. Offenbar auch jetzt.
»Jetzt musst du mir aber wirklich erzählen, was geschehen ist!«, sagte sie, nachdem sie mit Rheinwein angestoßen hatten. Sie hatte immer gefunden, dass Rheinwein nicht zu Kaviar passte, aber das war nun einmal der vulgäre Geschmack des Kaisers. Sie konnte es Lauritz von Osterøya nicht anlasten, aber gut war es deswegen trotzdem nicht.
»Große Dinge sind geschehen«, verkündete Lauritz feierlich, nachdem er sein Glas abgestellt hatte. »Mein Bruder Oscar befindet sich auf dem Weg nach Norwegen. Er ist dabei, seine Geschäfte in Afrika abzuschließen, und wird noch dieses Jahr als Teilhaber in die Firma eintreten. Er hat mir heute, genauer gesagt gestern eine größere Geldsumme geschickt, die eine Hälfte an die Firma, für die andere Hälfte sollte ich lustigerweise Gold kaufen. Du hättest die Gesichter der Angestellten der Norske Bank sehen sollen, als ich gestern dort war, um das in die Wege zu leiten.«
»Dein Bruder hat also sehr viel Gold bei der Norske Bank liegen, das Kapital der Firma wurde aufgestockt, und bald können wir deinen Bruder Oscar in die Arme schließen?
« , fasste Ingeborg mit einem etwas enttäuschten Ton zusammen, der ihrem Mann entging.
»Ja, aber das ist noch nicht alles! Lauritzen & Haugen hat heute die Aktienmehrheit von Henckel & Dornier, einer der angesehensten Ingenieurbaufirmen Deutschlands, erworben. Diese Berliner Firma hat auch eine Filiale in Stockholm. Ein Kredit bei Bergens Privatbank und Oscars unerwartet großer Beitrag haben dies ermöglicht. Geliebte, wir sind jetzt eine der führenden Ingenieurbaufirmen des neuen großen Jahrhunderts!«
Es gab nichts gegen seinen Triumph einzuwenden, sie sah sehr wohl ein, was es für eine kleine Firma aus Bergen bedeutete, plötzlich im großen Deutschland Fuß zu fassen. Henckel & Dornier war eine renommierte Firma, die sie sehr gut kannte. Trotzdem konnte sie nicht vor Glück
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