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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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1917

    Nie zuvor hatte sie Lauritz so am Boden zerstört gesehen. Natürlich hatten ihn gelegentlich Misserfolge ereilt, besonders in den letzten Jahren. Die rückläufige Auftragslage Lauritzen & Haugens, die man fast schon für einen Boykott halten konnte, hatte ihn enttäuscht und bedrückt, das war ihr aufgefallen. Das alles kannte sie, diesen Zustand jedoch nicht.
    Sie war soeben von einigen Krankenbesuchen in den Baracken nach Hause gekommen, die für jene Leute errichtet worden waren, die während des großen Brandes im Vorjahr ihr Dach über dem Kopf verloren hatten. Die Ärzte der Stadt wechselten sich bei dieser freiwilligen Arbeit ab, und es hatte nie zur Diskussion gestanden, sie auszuschließen, weil sie eine Frau war. Oder eine Deutsche. Sie hatte zwar kein herzliches, aber doch ein korrektes Verhältnis zu den Arztkollegen der Stadt.
    Sie war müde und wollte sich nach der feuchten Kälte in den Baracken ein heißes Bad gönnen. Auf der Treppe ins Obergeschoss hörte sie, wie Lauritz die Haustür öffnete.
    Aber sie hörte auch etwas anderes, ohne es benennen zu
können. Es war Lauritz, aber auch wieder nicht. Vielleicht waren seine Schritte langsamer als sonst. Vielleicht hatte er ein seltsames Geräusch von sich gegeben. Was auch immer es gewesen sein mochte, sie ahnte etwas. Sie hatte auf der Treppe kehrtgemacht und war ihm entgegengelaufen.
    Wortlos streckte er einfach nur die Arme aus und umarmte sie, aber da hatte sie bereits diesen nie zuvor erblickten Gesichtsausdruck erhascht.
    »Lauritz, Geliebter, was ist geschehen?«, fragte sie und versuchte sein Gesicht mit beiden Händen zu fassen, um ihm aus der Nähe in die Augen sehen zu können.
    Er wand sich aus ihrer Umarmung, kehrte ihr den Rücken zu und hängte seinen Mantel und Hut auf.
    »Komm!«, sagte er, ergriff ihre Hand und führte sie in den Salon. »Ich muss dir etwas Schreckliches erzählen.«
    Ein Schrecken durchfuhr sie, aber sie wusste, dass alle vier Kinder zu Hause waren. Es konnte sich also nicht um das größte Unglück handeln.
    Sie nahmen auf dem geschwungenen Sofa aus hellem Leder Platz, und er nahm ihre Hand. Dann saßen sie, wie sie es zu tun pflegten, nachdem die Gäste gegangen waren. Als sie noch Gäste gehabt hatten.
    »Sie haben die Ran angezündet. Sie ist nur noch ein Haufen Asche«, sagte er leise, schluchzte auf und bedeckte seine Augen mit der Hand. Noch nie hatte sie ihn weinen sehen.
    »Wie furchtbar! Wer hat sie angezündet? Und warum?«
    »Laut Zeugen ein paar kleine Jungen. Ich habe mit der Polizei gesprochen und sie gebeten, sich bei den Nachforschungen nicht allzu sehr anzustrengen.«
    »Warum denn nicht? So etwas darf doch nicht ungestraft bleiben!«
    Er schwieg eine Weile. Ingeborg sah sich neben ihm im Cockpit sitzen. Die Erinnerung brach wie Wellen über sie herein. Die Ran bedeutete ihnen beiden so viel. Ohne die Ran hätten sie vielleicht nie zusammenleben dürfen.
    »Es ist der Krieg«, sagte er nach einer Weile. »Dieser elende Heringsvertrag mit England, du weißt schon. Ich war ja die ganze Zeit dagegen. Da Norwegen neutral ist, war es unklug, den Engländern fünfundachtzig Prozent des gesamten Heringsexportes zu überlassen, obwohl einige Leute in der Stadt natürlich glänzend daran verdienen. Dann hat Deutschland angefangen, unsere Schiffe zu torpedieren, bislang dieses Jahr schon über fünfzig, und dazu kommen über sechzig tote Seeleute.«
    »Ich weiß. Das ist schrecklich, aber was hat das mit der Brandstiftung zu tun?«, fragte sie mehr verärgert als erstaunt.
    »Vermutlich einiges«, sagte er, während er ihre Hand streichelte. Sein Gesicht war leichenblass, und der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Ganz offensichtlich war sein Blutdruck gesunken. Sollte sie ihn untersuchen?
    »Ehe wir die Unterhaltung fortsetzen, verschreibe ich dir einen Whisky!«, meinte sie.
    »Willst du auch einen?«, fragte er, als er sich erhob und zum Barschrank ging.
    »Mir wäre ein deutscher Weinbrand lieber.«
    »Frau Doktor!«, sagte er mit einer Verbeugung, als er ihr das Glas reichte. Dann ließ er sich wieder auf das Ledersofa sinken, nippte an seinem Whisky und rieb sich die Schläfen, als habe er Kopfschmerzen.
    »Im ersten Jahr, nachdem ich mich von dem Schock erholt hatte, dass der Krieg ausgebrochen war, obwohl niemand verstand, warum, hoffte ich zumindest auf einen raschen deutschen Sieg, damit das Elend ein Ende hat. Krieg ist eine Anomalie und gehört nicht in unsere Zeit. Krieg, das ist das

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