Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
neunzehnte Jahrhundert. Aber inzwischen zieht sich das Ganze so in die Länge.«
»Entschuldige, aber was hat das mit den Brandstiftern der Ran zu tun?«
»Alles«, erwiderte Lauritz resigniert. »Je mehr Seeleute aus Bergen und Westnorwegen im Krieg umkommen, desto feindseliger betrachten ihre Hinterbliebenen dich und mich. Schließlich haben wir unverbrüchliche Bande zu Deutschland. Dass die Freunde verschwinden, dass die Auftragsbücher leer sind, dass Leute aus unserem ehemaligen Freundeskreis inzwischen wegschauen oder die Straßenseite wechseln, wenn sie uns begegnen, ist zumindest nicht unbegreiflich. Es ist unangenehm, ungerecht und, wie wir jetzt gesehen haben, regelrecht gefährlich, gewiss. Aber nicht unbegreiflich. Und was die Brandstifter betrifft, handelt es sich offenbar um drei kleine Jungen. Ich kann mir vorstellen, dass einer von ihnen seinen Vater dort draußen verloren hat. So haben meine Brüder und ich uns auch gefühlt, vermutlich verstehe ich das besser als die meisten anderen. Oscar und ich konnten niemandem die Schuld geben. Aber diese unglücklichen Jungen haben vielleicht ihren Schuldigen. Deutschland und alle, die aufseiten Deutschlands sind, du und ich.«
»Aber diese Jungen haben eine Straftat begangen, das lässt sich doch nicht mit dir und deinen Brüdern vergleichen!« , wandte Ingeborg ein.
»Das ist wahr. Aber erwischt man sie, müssen sie einen Schadensersatz zahlen, der das, was sie in ihrem ganzen Leben verdienen können und was ihre Eltern besitzen, weit übersteigt. Und wenn sie alt genug sind, dann steckt man sie ins Gefängnis. Willst du das?«
»Nein. Du hast ja recht, Lauritz. Aber wenn sie nächstes Mal unser Haus anzünden?«
»Das ist es ja gerade«, meinte Lauritz mutlos. »Meine geliebte Ingeborg, du hast die wunderbare Gabe, immer sofort den schwächsten Punkt zu finden. Willst du, kurz gesagt, dass wir ins Exil gehen?«
»Das ist ein großes Wort.«
»Ja. Aber nicht unüberlegt. Henckel & Dorniers Filiale in Stockholm liegt brach. Die Direktion in Berlin hat vorgeschlagen, dass ich sie übernehme. In Stockholm würden wir nicht mehr als Landesverräter gelten. Die Schweden sind sehr deutschfreundlich. Was hältst du von dieser Möglichkeit?«
»Mein erster Gedanke ist, lieber auszuharren. Mein zweiter Gedanke ist, dass es eine Erleichterung wäre, eine Zeit lang von hier wegzukommen. Wenn wir diesen schrecklichen Krieg gewonnen haben, brechen vielleicht neue Zeiten an, und wir können zurückkehren. Nein, ehrlich gesagt, Lauritz, ich weiß es nicht. Aber ich muss jetzt nach den Kindern schauen, wir reden später weiter.«
»Ich möchte auch lieber ausharren«, sagte er. »Wir haben nichts falsch gemacht. Die Welt hat sich aus reinem Neid gegen Deutschland verschworen. Frankreich und England haben es auf weitere Kolonien in Afrika und dem Nahen Osten abgesehen, und deswegen müssen nun auch norwegische Seeleute sterben. Das ist furchtbar, aber irgendwann
muss es ja auch ein Ende haben! Selbst ein Weltkrieg muss einmal zu Ende gehen, und wenn Deutschland endlich gesiegt hat, wird die Welt vielleicht wieder besser.«
»Und dann wirst du ein neues Boot bauen, das Ran II heißen soll«, schlug Ingeborg vor, als sie sich erhob, um zu den Kindern hinaufzugehen.
»Ja«, sagte er. »Darüber habe ich bereits nachgedacht. Leichter, schlanker, kleinere Salons, mehr für Regatten als für Ausflüge mit der Familie. Aber was den Namen angeht, bin ich mir nicht sicher. Für dich und mich gibt es nur eine Ran .«
Während sie mit den Kindern spielte, schweiften ihre Gedanken ab. Sie gab sich Mühe, das nicht zu zeigen. Harald war etwas zu groß, um mit seinen Geschwistern zu spielen, und Rosa noch etwas zu klein. Daher hatte sie ihre Zeit mit den Kindern dreigeteilt. Erst war sie zusammen mit Johanne und Karl im Spielzimmer. Die kleine Rosa durfte zuschauen. Dann war sie eine Weile allein mit Rosa, und schließlich ging sie zu Harald. Da ging es meist um Bücher und Märchen, die er sich selbst ausdachte, über Drachen und Wikinger und den Gott Thor.
Auf eine Art hatte sie an Harald am meisten Freude. Alle modernen Pädagogen warnten davor, Kinder zweisprachig zu erziehen. Aber sie hatte darauf bestanden. Sie hatte eine Verwandte, die mit einem Vicomte verheiratet war. Ihre Kinder sprachen Französisch ebenso fließend wie Deutsch und ohne den geringsten Akzent. Bei Harald war es inzwischen genauso. Er war sieben Jahre alt und sprach den ausgeprägten Dialekt von
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