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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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flüsterte sie hastig vor sich hin: »Ein gemeines Wesen bin ich, ein gemeines Wesen, ein gemeines Wesen!«
4. Eine Hymne und ein Geheimnis
    Es war schon recht spät – ein Novembertag ist ja nicht lang – als Aljoscha am Gefängnistor läutete; es begann sogar schon zu dämmern. Aber Aljoscha wußte, daß man ihn ungehindert zu Mitja lassen würde. Es war in unserem Städtchen so wie überall. Nach Abschluß der Voruntersuchung war der Zutritt für Mitjas Verwandte und andere Personen, die ihn zu sehen wünschten, anfangs allerdings mit gewissen, notwendigen Formalitäten verknüpft; später wurden diese Formalitäten zwar im großen und ganzen nicht abgeschwächt, aber für einige Personen, die zu Mitja kamen, bildeten sich doch wie von selbst gewisse Ausnahmen heraus, so daß die Zusammenkünfte mit dem Gefangenen in dem dazu bestimmten Zimmer manchmal sogar fast unter vier Augen stattfanden. Der Kreis dieser Personen war übrigens sehr klein: Gruschenka, Aljoscha und Rakitin. Gruschenka erfreute sich des besonderen Wohlwollens des Bezirkshauptmanns Michail Makarowitsch. Dieser alte Mann hatte Gewissensbisse, weil er sie in Mokroje so angeschrien hatte. Als er später erkannt hatte, wie die Sache lag, hatte er seine Meinung über sie vollständig geändert. Und seltsam: Obgleich er von Mitjas Schuld fest überzeugt war, wurde sein Urteil über ihn seit der Inhaftierung immer milder. ›Dieser Mensch hat vielleicht eine gute Seele gehabt‹, dachte er, ›ist aber durch Trunk und Ausschweifungen zugrunde gegangen!‹ An die Stelle des früheren Entsetzens war in seinem Herzen eine Art Mitleid getreten. Aljoscha wiederum mochte der Bezirkshauptmann sehr; er war schon lange mit ihm bekannt. Rakitin schließlich, der später sehr oft zu dem Gefangenen kam, war ein naher Bekannter der »jungen Damen des Herrn Bezirkshauptmanns«, wie er sie nannte; er verkehrte alle Tage in ihrem Haus. Außerdem gab er bei dem Gefängnisinspektor, einem gutmütigen, im Dienst allerdings strengen alten Mann, zu Haus Privatstunden. Aljoscha war ein besonders guter alter Bekannter des Gefängnisinspektors, der gern mit ihm allgemein über die Weisheit Gottes plauderte. Vor Iwan Fjodorowitsch hatte der Gefängnisinspektor großen Respekt und sogar eine gewisse Furcht; er fürchtete besonders dessen Urteile über die Weltordnung, obgleich er selbst ein großer Philosoph war – natürlich einer, der »durch seinen eigenen Verstand dahin gelangt war«. Zu Aljoscha jedenfalls fühlte er sich unwiderstehlich hingezogen. Im letzten Jahr hatte sich der alte Mann intensiv mit den apokryphen Evangelien befaßt und berichtete seinem jungen Freund nun alle Augenblicke von seinen Eindrücken. Früher war er sogar zu ihm ins Kloster gekommen und hatte mit ihm und den Priestermönchen stundenlange Gespräche geführt. Selbst wenn er zu spät zum Gefängnis kam, brauchte Aljoscha nur zum Inspektor zu gehen, und die Sache wurde dann sofort arrangiert. Außerdem hatten sich im Gefängnis alle bis hinab zum untersten Wächter an Aljoscha gewöhnt. Die Schildwache machte natürlich keine Schwierigkeiten, sobald er Erlaubnis von den Beamten hatte. Mitja kam gewöhnlich aus seiner Zelle herunter, in das für Besuche bestimme Zimmer, sobald er gerufen wurde.
    Als Aljoscha in dieses Zimmer trat, stieß er auf Rakitin, der gerade von Mitja fortging. Beide redeten noch laut miteinander. Mitja, der ihn zur Tür begleitete, lachte über etwas, und Rakitin schien vor sich hin zu brummen. Rakitin traf vor allem in letzter Zeit nicht allzugern mit Aljoscha zusammen; er sprach fast nicht mit ihm und grüßte ihn nur widerwillig. Als er jetzt Aljoscha eintreten sah, machte er ein besonders finsteres Gesicht und blickte zur Seite, als sei er ganz mit dem Zuknöpfen seines großen, warmen, mit einem Pelzkragen versehenen Überziehers beschäftigt. Dann suchte er nach seinem Schirm.
    »Daß ich nur nichts von meinen Sachen vergesse!« murmelte er, lediglich um etwas zu sagen.
    »Vergiß nur nichts von den Sachen anderer Leute!« witzelte Mitja und lachte selber über seinen Witz.
    Rakitin brauste auf.
    »Empfiehl das deinen Karamasows, die ihr so eine Familie von Verteidigern der Leibeigenschaft seid, aber nicht einem Mann wie mir!« schrie er außer sich vor Wut.
    »Was hast du denn? Ich habe ja nur einen Scherz gemacht!« rief Mitja! »Pfui Teufel! Aber so sind sie alle«, wandte er sich an Aljoscha und deutete mit dem Kopf auf den sich entfernenden Rakitin! »Die

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