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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Ich muß hinzufügen, daß er viel und gern russisch sprach; doch jeder Satz kam bei ihm auf deutsche Manier heraus, was ihn übrigens nie verlegen machte. Er hatte sein Leben lang die Schwäche, sein Russisch für musterhaft zu halten, »sogar für besser, als es die Russen selber sprechen«, und er zitierte sogar sehr gern russische Sprichwörter, wobei er jedesmal versicherte, die russischen Sprichwörter seien die besten und treffendsten der Welt. Ich erwähne noch, daß er im Gespräch infolge einer gewissen Zerstreutheit oft die gewöhnlichsten Wörter vergaß, die er gut kannte, die ihm aber plötzlich aus irgendeinem Grund entfallen waren. Dasselbe passierte ihm übrigens auch, wenn er deutsch sprach; dabei fuhr er immer mit der Hand vor seinem Gesicht herum, als versuchte er das verlorene Wort zu erhaschen, und niemand hätte ihn dazu bringen können, mit dem Satz fortzufahren, bevor er das ihm entfallene Wort gefunden hatte. Seine Bemerkung, daß der Angeklagte beim Eintritt nach den Damen hätte sehen müssen, rief beim Publikum ein heiteres Geflüster hervor. Der alte Herr war bei unseren Damen sehr beliebt; sie wußten auch, daß er, der nie verheiratet gewesen war und ein frommes, keusches Leben führte, die Frauen als höhere, ideale Wesen betrachtete. Daher kam seine unerwartete Bemerkung allen sehr seltsam vor.
    Der Moskauer Arzt erklärte, als er an die Reihe kam, in scharfem, entschiedenem Ton, daß er den geistigen Zustand des Angeklagten für abnorm erachte, »sogar im höchsten Grade«. Er sprach viel und klug über »Affekt« und »Manie« und kam zu dem Schluß, daß sich der Angeklagte nach allen bekannt gewordenen Tatsachen schon einige Tage vor seiner Festnahme zweifellos in einem krankhaften Affekt befand und, sofern er das Verbrechen überhaupt begangen haben sollte, dies zwar mit Bewußtsein, doch eher unfreiwillig tat, indem er schlechterdings nicht die Kraft hatte, gegen den krankhaften seelischen Drang, der ihn überkam, anzukämpfen. Außer dem Affekt hatte der Doktor auch noch Manie wahrgenommen, was nach seinen Worten geradezu auf eine sich herausbildende totale geistige Störung hindeutete. Wohlgemerkt, ich gebe das mit meinen eigenen Worten wieder; der Doktor drückte sich sehr gelehrt und fachmännisch aus. »Alle seine Handlungen stehen im Widerspruch zur gesunden Vernunft und zur Logik«, fuhr er fort. »Ich will nicht von dem reden, was ich nicht gesehen habe, das heißt von dem eigentlichen Verbrechen und von dieser ganzen Katastrophe. Doch selbst vorgestern hatte er im Gespräch mit mir einen unerklärlich starren Blick. Er lachte plötzlich los, wozu nicht der geringste Anlaß bestand. Er legte dauernd eine unverständliche Gereiztheit an den Tag und gebrauchte sonderbare Worte, ›Bernard‹ ›Ethik‹ und andere, die gar nicht in das Gespräch hineinpaßten.« Als Manie wertete der Doktor besonders den Umstand, daß der Angeklagte von den dreitausend Rubeln, um die er sich betrogen glaubte, nicht reden könne, ohne gereizt zu sein, während er von allen anderen Mißgeschicken und Kränkungen ziemlich unbeeindruckt spreche. Nach seinen Erkundigungen sei er auch früher jedesmal, wenn diese dreitausend Rubel erwähnt wurden, in eine Art von Raserei verfallen, während er doch im allgemeinen als uneigennützig und selbstlos galt. »Was nun die Meinung meines gelehrten Kollegen betrifft«, fügte der Moskauer Arzt am Schluß seiner Rede ironisch hinzu, »daß der Angeklagte beim Eintritt in den Saal zu den Damen hätte schauen müssen und nicht geradeaus, so kann ich nur sagen: Ganz abgesehen von der Anstößigkeit einer derartigen Schlußfolgerung ist diese Meinung vollkommen irrig. Wenn ich auch zugebe, daß der Angeklagte beim Eintritt in den Gerichtssaal, in dem sein Schicksal entschieden wird, nicht derart starr hätte vor sich hin blicken sollen und daß dies tatsächlich als ein Symptom seines abnormen Geisteszustandes in dem betreffenden Augenblick betrachtet werden kann, so behaupte ich doch gleichzeitig, daß er nicht nach links zu den Damen, sondern nach rechts hätte blicken und mit den Augen seinen Verteidiger suchen müssen, auf dessen Hilfe seine ganze Hoffnung beruht und von dessen Verteidigung jetzt sein ganzes Schicksal abhängt.« Diese seine Meinung sprach der Doktor sehr entschieden und nachdrücklich aus. Eine besondere Komik erhielt die Meinungsverschiedenheit der beiden gelehrten Sachverständigen durch die unerwartete Schlußfolgerung des Arztes

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