Die Brueder Karamasow
doch das Gegenteil hätte der Fall sein müssen. Warum es so war, das zu überlegen hatte er keine Lust; er empfand sogar einen Widerwillen gegen ein solches Wühlen in seinen Empfindungen. Lieber hätte er dies und jenes so bald wie möglich vergessen. Jedenfalls war er nach einigen Tagen, nachdem er sich näher und gründlicher mit allen Mitja belastenden Momenten bekannt gemacht hatte, vollständig von dessen Schuld überzeugt. Es waren darunter Aussagen ganz einfacher Leute, aber sie wirkten beinahe niederschmetternd, vor allem die Aussagen Fenjas und ihrer Mutter, gar nicht zu reden von Perchotin, von dem Restaurant, von Plotnikows Laden, von den Zeugen in Mokroje. Besonders belasteten ihn auch gewisse Einzelheiten. Die Mitteilung über die geheimen Klopfsignale hatten auf den Untersuchungsrichter und den Staatsanwalt einen fast ebenso starken Eindruck gemacht wie Grigoris Angabe über die offenstehende Tür. Grigoris Frau, Marfa Ignatjewna, erklärte auf Iwan Fjodorowitschs Frage mit aller Bestimmtheit, Smerdjakow habe bei ihnen die ganze Nacht über auf der anderen Seite der Bretterwand gelegen, »keine drei Schritte von unserem Bett entfernt«; sie habe zwar fest geschlafen, sei aber oft aufgewacht und habe gehört, wie er da stöhnte! »Die ganze Zeit stöhnte er, unaufhörlich stöhnte er,« Er hatte eine Unterredung mit Herzenstube und äußerte ihm gegenüber, Smerdjakow komme ihm überhaupt nicht geistig gestört vor, sondern nur körperlich schwach; doch er rief dadurch bei dem alten Mann nur ein feines Lächeln hervor! »Wissen Sie, womit er sich jetzt besonders beschäftigt?« fragte er Iwan Fjodorowitsch! »Er lernt französische Vokabeln auswendig. Unter dem Kopfkissen hat er ein Heft liegen, in das ihm jemand französische Worte mit russischen Buchstaben hineingeschrieben hat, hehehe!« Iwan Fjodorowitsch ließ schließlich alle Zweifel fallen; er konnte an seinen Bruder Dmitri nur noch voller Ekel denken. Nur eines war seltsam: daß Aljoscha immer noch hartnäckig dabei blieb, nicht Dmitri habe den Mord begangen, sondern »mit aller Wahrscheinlichkeit« Smerdjakow. Iwan war sich immer dessen bewußt gewesen, daß Aljoschas Urteil ihm sehr viel galt, daher war er jetzt sehr erstaunt über ihn. Seltsam war auch, daß Aljoscha keine Gelegenheit suchte, mit ihm über Mitja zu sprechen, und selbst nie davon anfing, sondern nur auf seine, Iwans, Fragen antwortete. Übrigens wurde er in dieser Zeit durch etwas ganz anderes abgelenkt. Nach seiner Ankunft aus Moskau hatte er sich in den ersten Tagen rückhaltlos seiner glühenden, sinnlosen Leidenschaft für Katerina Iwanowna hingegeben. Es ist hier nicht der Ort, von dieser neuen Leidenschaft Iwan Fjodorowitschs anzufangen, die für sein ganzes späteres Leben bedeutsam werden sollte; das könnte als Stoff für einen zweiten Roman dienen, von dem ich noch nicht weiß, ob ich ihn jemals in Angriff nehmen werde. Aber eines kann ich auch jetzt nicht verschweigen: Als Iwan Fjodorowitsch mit Aljoscha in der Nacht von Katerina Iwanowna wegging und zu ihm sagte: »Ich mag sie nicht«, log er gewaltig. Er liebte sie unsinnig, obgleich er sie zeitweilig auch dermaßen haßte, daß er sie hätte ermorden können. Es kamen hier viele Ursachen zusammen. Tief erschüttert durch das Ereignis mit Mitja hatte sie sich auf den wieder zu ihr zurückgekehrten Iwan Fjodorowitsch wie auf einen Retter gestürzt. Sie war beleidigt, gekränkt, in ihren Gefühlen gedemütigt. Und da erschien nun wieder der Mensch, der sie früher so geliebt hatte, oh, sie wußte das, und dessen Verstand und Herz sie immer so hoch über sich selbst gestellt hatte. Aber das strengdenkende Mädchen gab sich ihm nicht völlig zum Opfer hin, trotz seines Karamasowschen Ungestüms und des starken Zaubers, den er auf sie ausübte. Sie quälte unaufhörlich die Reue darüber, daß sie Mitja untreu geworden war, und in bösen Augenblicken, wenn sie sich mit Iwan stritt, und solche Augenblicke gab es viele, sagte sie ihm das auch. Das war es, was er in dem Gespräch mit Aljoscha »Unwahrhaftigkeit und Lüge« genannt hatte. Es war allerdings tatsächlich auch viel Unwahrhaftigkeit mit im Spiel, und das war es, was Iwan Fjodorowitsch am meisten aufregte ... Doch von alledem später! Kurz, zeitweilig vergaß er Smerdjakow beinahe. Und dennoch begannen ihn zwei Wochen nach seinem ersten Besuch bei Smerdjakow wieder alle jene sonderbaren Gedanken zu peinigen wie früher. Es genügt, wenn ich sage, daß er sich
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