Die Brüder Karamasow
selber fordern und töten!‹ Seine Augen glühten. Nun, bei alledem bin ich doch sein Vater und mußte ihm ein Wort der Wahrheit sagen. ›Es ist Sünde‹, sagte ich zu ihm, ›einen Menschen zu töten, auch im Zweikampf.‹ – ›Papa‹, sagte er, ›Papa, ich werde ihn zu Boden werfen, wenn ich groß bin. Ich werde ihm seinen Säbel aus der Hand schlagen, mich auf ihn stürzen, ihn zu Boden werfen, mit dem Säbel ausholen und sagen: Ich könnte dich töten, aber ich verzeihe dir! Da hast du es!‹ – Sehen Sie, mein Herr, was für ein Denkprozeß während dieser zwei Tage in seinem kleinen Kopf vorgegangen war? Tag und Nacht hatte er nur an diese Rache mit dem Säbel gedacht und nachts gewiß davon geträumt. Seitdem ist er aus der Schule immer arg zugerichtet nach Hause gekommen, das habe ich alles erst vorgestern erfahren. Sie haben recht, ich werde ihn nicht mehr in diese Schule schicken. Ich hörte, daß er allein der ganzen Klasse gegenübersteht und alle herausfordert. Er muß sich in so eine Wut gesteigert haben, daß ihm geradezu das Herz in der Brust entbrannt ist. Ich bete aus Angst um ihn. Wir gingen wieder einmal spazieren. ›Papa‹, fragte er, ›Papa, die Reichen sind wohl die Stärksten auf der Welt?‹ – ›Ja‹, sagte ich, ›Iljuscha, nichts auf der Welt ist stärker als ein Reicher!‹ – ›Papa‹, sagte er, ›ich werde reich, ich werde Offizier und werde alle Feinde niederschlagen. Der Zar wird mich auszeichnen, ich werde wiederkommen, und dann wird es niemand wagen ...‹ Er schwieg ein Weilchen, dann sagte er, die Lippen zuckten ihm noch immer wie vorher: ›Papa‹, sagte er, ›wie häßlich unsere Stadt doch ist, Papa!‹ – ›Ja‹, sagte ich, ›Iljuschetschka, unsere Stadt ist nicht sehr schön.‹ – ›Papa, laß uns in eine andere Stadt ziehen, in eine schöne Stadt!‹ sagte er. ›In eine Stadt, wo man nichts von uns weiß!‹ – ›Wir werden umziehen‹, sagte ich. ›Wir werden umziehen, Iljuscha! Ich spare nur erst Geld dafür ...‹ Ich freute mich über die Gelegenheit, ihn von seinen trüben Gedanken abzulenken, und wir begannen uns beide auszumalen, wie wir in eine andere Stadt ziehen und uns dazu ein eigenes Pferdchen und ein eigenes Wägelchen kaufen. ›Das Mamachen und die Schwestern‹, sagte ich, ›setzen wir hinein und decken sie gut zu. Wir selbst laufen nebenher. Manchmal werde ich auch dich hineinsetzen, doch ich werde immer nebenher gehen, denn wir müssen doch unser Pferdchen schonen und können uns nicht alle hineinsetzen.‹ So wollten wir uns auf den Weg machen. Er war davon entzückt, besonders darüber, daß das Pferdchen ihm gehören und er selbst darauf reiten sollte. Es ist ja bekannt, daß ein russischer Junge sozusagen zusammen mit einem Pferdchen geboren wird ... So plauderten wir lange. ›Gott sei Dank!‹ dachte ich. ›Ich habe ihn ein bißchen zerstreut und getröstet.‹ Das war vorgestern abend. Gestern abend jedoch zeigte sich ein ganz anderes Bild. Er war am Morgen wieder in diese Schule gegangen und mit finsterer Miene zurückgekehrt, mit sehr finsterer Miene. Am Abend nahm ich ihn bei der Hand und ging mit ihm spazieren. Er schwieg, redete kein Wort. Es hatte sich ein Wind erhoben, die Sonne war dunkel geworden, es war richtig herbstlich und dämmerte schon – wir gingen, und uns beiden war traurig zumute. ›Na, mein Junge‹, sagte ich, ›wie werden wir uns denn auf die Reise machen?‹ Ich wollte ihn wieder auf das Gespräch vom vorigen Tag bringen. Er schwieg. Ich fühlte nur, wie seine Finger in meiner Hand zuckten. ›O weh‹, dachte ich, ›das ist schlimm, da gibt es etwas Neues!‹ Wir kamen, wie jetzt, an diesen Stein. Ich setzte mich darauf, am Himmel schwebten eine Menge Drachen, die die Kinder steigen ließen, sie rauschten und knatterten, man konnte an die dreißig Drachen sehen. Es ist ja jetzt die richtige Jahreszeit, um Drachen steigen zu lassen. Weißt du, Iljuscha, sagte ich, jetzt sollten auch wir den Drachen vom vorigen Jahr steigen lassen. Ich werde ihn ausbessern, wo hast du ihn verwahrt? Mein Junge schwieg und blickte zur Seite und wandte sich von mir ab. Da heulte der Wind auf einmal los, der Sand flog wirbelnd in die Höhe. Der Junge stürzte plötzlich zu mir, umschlang mit beiden Ärmchen meinen Hals und drängte sich an mich. Wissen Sie, schweigsame, stolze Kinder halten ihre Tränen oft lange zurück, doch wenn sie vor großem Kummer einmal weinen müssen, dann strömen die Tränen wie
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