Die Brüder Löwenherz
in der Küche bei mir saß. Jetzt aber hatte ich gesehen, daß es auch stimmte, und darüber freute ich mich. Es gibt Dinge, die man nie vergißt. Nie, nie vergesse ich diesen ersten Abend in der Küche des Reiterhofes, wie wunderbar es war, dort zu liegen und wie früher mit Jonathan zu reden. Jetzt wohnten wir wieder in einer Küche, genauso wie es immer gewesen war. Allerdings sah es hier anders aus als in unserer Küche in der Stadt: Die Küche im Reiterhof war sicher uralt, mit dicken Balken an der Decke und einem großen Kamin. Und was für ein Kamin das war! Er war fast so breit wie die ganze Wand, und wollte man dort etwas kochen, dann mußte man es über dem offenen Feuer tun, so wie in alten Zeiten. Mitten im Raum stand der wuchtigste Tisch, den ich je gesehen habe, mit langen Holzbänken zu beiden Seiten. Und ich glaube bestimmt, daß zwanzig Menschen gleichzeitig daran sitzen und essen konnten, ohne daß es zu eng wurde.
»Ich finde es am besten, wir wohnen in der Küche so wie immer«, sagte Jonathan, »dann kann Mama die Stube kriegen, wenn sie kommt.«
Küche und Stube, das war der ganze Reiterhof, aber mehr waren wir ja nicht gewohnt, und mehr brauchten wir auch nicht. Trotzdem hatten wir hier mindestens doppelt soviel Platz wie zu Hause. Zu Hause! Ich erzählte Jonathan von dem Zettel, den ich für Mama auf den Küchentisch gelegt hatte.
»Ich habe ihr geschrieben, daß wir uns in Nangijala wiedersehen. Doch wer weiß, wann sie kommt.«
»Das kann schon noch dauern«, meinte Jonathan.
»Jedenfalls kriegt sie eine schöne Stube, mit Platz für zehn Nähmaschinen, wenn sie es möchte.«
Ratet mal, was ich gern mag! Ich mag gern in so einer uralten Küche auf einer uralten Wandpritsche liegen und mit Jonathan reden, während der Feuerschein an den Wänden flackert. Und wenn ich aus dem Fenster gucke, dann sehe ich einen Kirschbaumzweig, der leicht im Abendwind schwankt. Und dann schrumpft das Feuer im Kamin und wird immer kleiner, bis nur noch die Glut übrig ist, und in den Winkeln wird es schummrig, und ich werde müde und müder und liege da, ohne zu husten, und Jonathan erzählt mir etwas. Er erzählt und erzählt, und schließlich höre ich seine Stimme nur noch wie damals dieses Flüstern, und dann schlafe ich ein. Genau das alles mag ich gern, und so war es auch an diesem ersten Abend im Reiterhof, und darum vergesse ich ihn nie.
4
Und dann der nächste Morgen, da ritten wir. Wirklich, ich konnte reiten, und dabei saß ich zum ersten Mal auf einem Pferd. Ich begreife nicht, dass man in Nangijala einfach alles kann. Ich galoppierte davon, als ob ich nie etwas anderes getan hätte. Aber wie erst Jonathan ritt! Wäre sie dabeigewesen, die Frau, die gesagt hatte, mein Bruder sehe aus wie ein Märchenprinz, ja, dann hätte sie einen Märchenprinzen zu sehen bekommen, den sie bis an ihr Lebensende nicht vergessen würde! Wenn er in vollem Galopp angeritten kam und mit einem Sprung über den Bach setzte, geradezu hinüberflog, so daß sein Haar um ihn wehte, ja, da mußte man einfach glauben, daß er ein Märchenprinz war. Er war auch so ähnlich gekleidet oder vielleicht eher wie ein Ritter. In einem Schrank im Reiterhof gab es allerlei Kleidungsstücke. Woher sie auch immer stammen mochten, es waren nicht solche, wie man sie heutzutage trägt sondern eben Gewänder aus der Ritterzeit. Auch für mich hatten wir etwas herausgesucht, meine eigenen alten und häßlichen Sachen hatten wir weggeworfen, und ich wollte sie nie wiedersehen. Denn Jonathan sagte, wir müßten so angezogen sein, wie es zu der Zeit paßt, in der wir jetzt lebten, sonst würden die Leute im Kirschtal uns sonderbar finden. Die Zeit der Lagerfeuer und der Sagen, hatte sie Jonathan nicht so genannt? Als wir dort in unserer schönen Tracht umherritten, fragte ich ihn:
»Es ist wohl eine sehr alte Zeit, in der wir hier in Nangijala leben?«
»Ja, aber nur in gewisser Weise«, antwortete Jonathan.
»Natürlich ist es eine alte Zeit für uns. Man könnte aber auch sagen, es ist eine junge Zeit.«
Er dachte nach.
»Ja, genau das«, sagte er, »eine junge und frische und gute Zeit, in der es sich einfach und leicht leben läßt.«
Doch dann wurden seine Augen dunkel.
»Wenigstens hier im Kirschtal«, fügte er hinzu.
»Ist es denn nicht überall so?« fragte ich. Und Jonathan antwortete, nein, so sei es wahrhaftig nicht überall. Was für ein Glück, daß wir hier gelandet waren! Gerade hier im Kirschtal, wo das Leben
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