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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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übertragenes Fieber, zumindest anfänglich, ehe man eine gewisse Höhe erreicht hatte. Dann starben sie an Malaria, Schwarzwasserfieber, Unterernährung oder einer Kombination von allem. Wieso?«
    »Hätte die einheimische Bevölkerung die Arbeit nicht besser bewältigt?«
    »Doch. Natürlich. Aber die einheimischen Arbeitskräfte haben zu hohe Forderungen gestellt. Außerdem waren sie unwillig. Die Inder waren viel billiger, außerdem gibt es so viele von ihnen. Aber du hast da schon recht, wir hätten mehr Afrikaner einsetzen sollen. Das habe ich auch diesem Großmaul, diesem Minister aus dem Kolonialministerium, Winston Soundso, zu erklären versucht.«
    »Was hast du zu ihm gesagt?«
    »Dass wir Arbeitskräfte zwangsweise vor Ort verpflichten müssten, statt eine Ladung Inder nach der anderen sterben zu lassen.«
    »Und was hat er gesagt?«
    »Dass daran aus politischen Gründen im Augenblick nicht zu denken sei. Die verdammten Belgier hätten bereits so viel Ärger verursacht, ihr wisst schon, diese Komitees gegen die neue Sklaverei und Ähnliches. Schließlich ist Großbritannien ja nach Afrika gekommen, um die Sklaverei abzuschaffen. Wir mussten also weiter Inder nach Afrika verschiffen, die zwar wie die Fliegen starben, es uns aber ermöglichten, die Fahne des Anstands weiterhin hochzuhalten. Keine Zwangsarbeit in Afrika.«
    »Ich verstehe«, sagte Albie und verstummte.
    Sverre betrachtete die immer wiederkehrenden Knochenhaufen, die den Bahndamm säumten. Er hatte an der Unterhaltung nicht teilgenommen. Schließlich war er ja nur ein Gast, zudem ein fragwürdig verlobter Gast, Norweger und alles andere als adelig. Es stand ihm nicht zu, sich zwischen die beiden Drahtzieher dieses feudalen Projekts, der Ehe einer hoffentlich glücklichen Pennie mit einem hoffentlich ebenso glücklichen Gal, zu drängen.
    Gal hatte wirklich lange und hart gekämpft, um seine Pennie zu bekommen, das ließ sich nicht verleugnen.
    Und bald war der ganze Unsinn vorbei. Sie waren in Afrika. Das war unerhört.
    Sverre verspürte kein Interesse, Tiere zu malen. Die afri­kanischen Menschen hingegen waren unendlich viel spannender.
    Albie und er hätten sich energischer für die Abschaffung der Sklaverei einsetzen sollen. Roger Casements Bericht über die Barbarei der Belgier im Kongo war in sei ner sachlichen Distanziertheit fürchterlich, und der Kampf dafür, das Außenministerium zu seiner Veröffentlichung zu zwingen, war sehr berechtigt gewesen. Außerdem war es angezeigt, sich auch für Dinge außerhalb der Kunst zu engagieren, und Roger »Tiger« Casement und Edmond »Bulldog« Morels Projekt erschien ihnen als das Größte und moralisch Wichtigste, was man sich überhaupt vorstellen konnte.
    Sie waren Casement zum ersten Mal in einer geschlossenen Gesellschaft bei George Ives in den Räumlichkeiten des Chaerona-Ordens begegnet. Seine Berichte über die Unmenschlichkeiten der Belgier im Kongo sprengten alle Grenzen des Vorstellbaren. Ganze Dörfer waren ausgelöscht worden, weil die Einwohner nicht genügend Kautschuk geliefert hatten. Frauen wurden mit Panga-­Messern zerhackt, während ihre Kinder schreiend in den Dschungel flohen und dort entweder wilden Tieren oder Kannibalen zum Opfer fielen. Soldaten sammelten abgehackte Hände in großen Körben ein, um zu beweisen, dass sie keine Munition verschwendeten. Jägerkulturen wurden ausgelöscht, weil Jäger kein Gummi ernteten, was in einer Hungersnot endete. Ganze Landstriche wurden entvölkert und verwandelten sich in Wildnis. Eine Na­tion, fünfzehnmal so groß wie Belgien, war im Begriff, vernichtet zu werden.
    Ein albtraumhafter Bericht. Einen ganzen Abend hatten sie in geschlossener Gesellschaft bei George Ives verbracht und wie gebannt zugehört. Dazu trug natürlich auch bei, dass Casement ein schöner Mann war, athletisch, aber gleichzeitig sanft-humanistisch, mit denselben warmen braunen Augen wie Albie.
    Genau das war das Problem. Casements Attraktivität und seine Neigung konnten ihn jederzeit ins Verderben führen, da er keinerlei Diskretion besaß und geradezu nachlässig war. Er frequentierte das Crown an der Charing Cross Road, das Windsor Castle am Strand, das Packenham and Swan in Knightsbridge, die Pissoirs am Piccadilly und Oxford Circus, er kaufte Seeleute, Soldaten und Prosti­tuierte und notierte Penisgrößen und Ausgaben in seinem Tagebuch und trug somit Inkriminierendes stets bei sich. Jeden Abend, an dem er ausging, setzte er die gesamte Kampagne

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