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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Skelette?«, erklärte Albie und deutete auf einen Knochenberg, an dem sie gerade vorbeifuhren. »Gibt es denn keine Methode, die Tiere vor dem Herannahen des Zugs zu verscheuchen?«
    »Ach das«, meinte D und deutete mit dem Daumen auf einen weiteren Knochenhaufen. »Das sind keine Tiere, das sind Kulis.«
    »Wie bitte?«
    »Inder. Wir haben dreißig- oder vierzigtausend Inder zum Bau der Eisenbahn hierhergeholt. Fünf- oder sechstausend haben dieses Abenteuer nicht überlebt.«
    »Aber warum hat man sie nicht begraben? Und wie sind sie überhaupt gestorben?«
    »Lavagestein, die Erdschicht ist sehr dünn. Sechs Fuß tief zu graben ist schwierig und dauert sehr lang. Ein Problem waren die vielen Schmarotzer, die sich an das kostenlose Kulifleisch gewöhnt hatten. Habt ihr noch nie von den Menschenfressern von Tsavo auf halber Strecke nach Nairobi gehört?«
    Nein, diese waren ihnen unbekannt.
    Sie brauchten eine Weile, um die Informationen, die ihnen D achselzuckend mitteilte, als handele es sich um Selbstverständlichkeiten, zu verarbeiten. Albie und Sverre warfen sich insgeheim Blicke zu, um sich zu vergewissern, dass sie beide das Gleiche gehört hatten. Die Unterhaltung kam zum Erliegen.
    »Entschuldige, eine weitere Frage«, sagte Albie schließlich. »Meinst du mit menschenfressenden Schmarotzern die Kannibalen?«
    »Aber nein! Löwen und Hyänen natürlich.« D lachte. »Die Kannibalen essen kein Aas, nur Frischfleisch. Verdammter Mist! Da vorne steht ein Nashorn auf den Schienen und spielt sich auf! Nashörner sind wirklich die dümmsten Tiere Afrikas. Jetzt will es die Lokomotive her­ausfordern.«
    Und so war es. Der Zug vollführte eine quietschende Notbremsung, und die drei Männer auf der vorderen Plattform mussten sich mit aller Kraft festklammern. Mit einem Zischen, das wie ein Stoßseufzer klang, kam die Lokomotive zum Stehen. Das Nashorn stand etwa siebzig Yard von ihnen entfernt, schnaubte und scharrte mit dem einen Vorderhuf. D schnallte sich fluchend ab, sprang auf die Geleise, machte seine doppelläufige Jagdflinte schussklar und klemmte sich zwei Reservepatronen zwischen die Finger seiner linken Hand. Dann rutschte er vom Bahndamm hinunter und entfernte sich ohne sonderliche Eile im rechten Winkel.
    Das Nashorn schien sich nicht zwischen dem großen und dem kleinen Gegner entscheiden zu können. D setzte seinen Weg vom Gleis weg fort und blieb dann stehen. In diesem Moment entschied sich das Nashorn für den kleineren Gegner und ging zum Angriff über.
    D hob langsam sein Gewehr. Als sich das Nashorn auf dreißig Yard genähert hatte, feuerte D einen Schuss ab, woraufhin das riesige Tier stürzte und dabei mit seinen beiden Hörnern Erde und Gras aufriss. Daraufhin ging D ohne das geringste Anzeichen von Eile ein paar Schritte auf das Tier zu und schoss erneut. Albie und Sverre konnten nicht erkennen, wo er getroffen hatte, aber das Tier ächzte und wand sich vor Schmerzen. Langsam hinkte D auf das Nashorn zu, lud mit den beiden Reservepatronen nach, näherte sich dem Tier bis auf ein paar Meter und schoss es in den Kopf. Das Nashorn trat heftig mit den Hinterbeinen aus, dann lag es still. D zielte nochmals, besann sich aber nach wenigen Sekunden eines Besseren und trat den Rückweg an, wobei er schrill auf zwei Fingern pfiff. Daraufhin sprangen vier Schwarze mit Axt und Säge aus dem Zug. Sie sägten dem Nashorn den Kopf ab und schleppten diesen dann zu einem der Gepäckwagen.
    Die Dampfpfeife ertönte, und die Fahrt konnte weitergehen.
    »Von vorne sind sie schwer zu erlegen«, erklärte D, nachdem er auf die Aussichtsplattform zurückgekehrt war und sich angeschnallt hatte. »Trifft man das Horn oder die Schulter, erzürnt man sie nur. Aber erwischt man ihr Knie, gehen sie aufgrund ihres Gewichts zu Boden und sind er­ledigt. Wo waren wir stehen geblieben?«
    Der Zug setzte sich keuchend wieder in Bewegung.
    »Wir sprachen über die fünf- oder sechstausend Inder, die während des Eisenbahnbaus gestorben sind«, fuhr ­Albie gepresst fort. Sverre entnahm seinem Tonfall, dass es ihn eine gewisse Anstrengung kostete, die Unterhaltung so fortzusetzen, als sei nichts von Belang vorgefallen, als hätte man nur ganz nebenbei etwas Ungeziefer beseitigt.
    »Ja? Was ist mit diesen Indern?«, wollte D wissen.
    »Wie sind sie gestorben?«
    »In den seltensten Fällen aufgrund von Bestrafungen, falls du das denkst. Die gewöhnlichste Ursache war vermutlich die Schlafkrankheit oder ein von Tsetsefliegen

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