Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
Jackson die ersten Tropfen gefallen sind, regnet es ununterbrochen. Maria wirft einen Blick auf den schwarzen Himmel mit seinen ungeheuren Wolken, die sich unaufhörlich über dem Flussdelta entleeren. Man könnte sie für Lebewesen halten, die das Wasser aus dem Ozean saugen, um es über der Stadt auszuschütten. Sie erinnert sich an Akimas letzte Worte. Sie hatte ihr eine Unzahl von Fragen zu stellen versucht, auf welche die Alte lediglich mit einem Lächeln geantwortet hatte. Ihr Atem hatte zu pfeifen begonnen, während ihr Gesicht vor Marias Augen vertrocknete und ihr Kopf niedersank. Maria muss daran denken, wie in dem Augenblick, als sie sich erhoben hatte, um die Pflanzung zu verlassen, eine sonderbare Staubwolke aus dem Kleid der Alten aufgestiegen war, als stehe ihr Leib im Begriff, sich zu mumifizieren.
Maria fährt auf der linken Spur, so schnell es geht. In der Gegenrichtung ist die 55 ein einziges langes Band voller Autos, deren Fahrer aus der Hölle zu fliehen versuchen. Manche stecken schon seit vier Tagen in diesem Strom der Flüchtigen fest, weil die Nationalgarde Straßensperren
errichtet hat, um ihn zu kanalisieren und in unterschiedliche Richtungen zu lenken. Die Männer hatten keinen Versuch unternommen, Maria von ihrem Vorhaben abzubringen, südwärts zu fahren, doch war ihr aufgefallen, dass einer von ihnen in sein Funkgerät gesprochen hatte, vermutlich, um den Kollegen an der nächsten Straßensperre ihr Kennzeichen durchzugeben. Im Radio hieß es, dass Männer der 82. Luftlandedivision und des 11. Korps der Marine-Infanterie von Miramar einen Ring um die Stadt bildeten, seit dort das Kriegsrecht verhängt worden war.
In der Gegenrichtung sieht Maria rostige alte Autos, Wohnmobile und Kleinbusse, auf deren Dächern sich Matratzen und Kartons türmen. Auch Sportwagen sind darunter, sowie Oberklassefahrzeuge, deren starke Motoren ihnen hier allerdings nicht das Geringste nützen.
Am Straßenrand spielen in Ölzeug gekleidete Kinder. Ihre erschöpften Eltern beobachten sie aus dem Augenwinkel, während sie von der Nässe aufgeweichte Brote essen. Ein Stück weiter lassen Hell’s Angels unter den kalten Blicken der Nationalgardisten die Motoren ihrer schweren Maschinen aufheulen. Einer der Motorradfahrer richtet ein Gewehr zum Himmel und gibt drei Schüsse daraus ab. Das Mündungsfeuer ist deutlich zu sehen. Er will damit nicht nur die Soldaten provozieren, sondern zugleich an den zweiten Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung erinnern, der jedem Bürger das Recht auf Waffenbesitz einräumt. Als die Soldaten daraufhin ihre Sturmgewehre vom Typ M-16 angelegt haben, hat der Mann seine Maschine aufgebockt und mit dem Zeigefinger auf sie gewiesen. Offensichtlich hat er den Ernst der Lage nicht begriffen. Aus den Läufen der M-16 zuckt Mündungsfeuer. Mit aufgerissenen Augen weicht der dicke Hell’s Angel unter dem Aufprall der Kugeln zurück und landet auf dem Hinterteil. Während sie langsamer fährt, sieht Maria,
wie sich sein Blut mit dem Regen vermischt. Die anderen Motorradfahrer lassen sich mit erhobenen Händen von den Soldaten abtasten. In dem Augenblick, als Maria die Gruppe passiert, wendet sich einer zu ihr um. Ihre Blicke kreuzen sich. Er ist jung, fast noch ein Kind. Wie der Gardist südlich von Jackson hebt er sein Funkgerät an die Lippen, um die Männer der nächsten Straßensperre zu informieren.
Maria schaltet die Lichtorgel ein, die sie als Angehörige des FBI benutzen darf. Abwechselnd blitzt das Rot- und Blaulicht über der vorderen Stoßstange ihres Wagens auf. Sie fährt weiter in Richtung Süden, vorüber an verwüsteten Feldern, entwurzelten Bäumen und abgedeckten Häusern. Die Heftigkeit des Regens nimmt noch zu. Seit sich der Orkan über Alabama abgeschwächt hat, haben die Wolken, die seine Nachhut bilden, eins der entsetzlichsten Unwetter seit Menschengedenken über das Land gebracht. Im Wetterbericht heißt es, der Regen werde, wenn es so weitergeht, noch mehr Schäden anrichten als vor ihm die Fluten des Meeres und der Wirbelsturm. Hunderte von Menschen sitzen in ihren Häusern gefangen, Tausende weitere im Superdome. Die zu spät gekommenen Rettungskräfte haben sich in eine Besatzungsarmee verwandelt und hindern jetzt die Menschen daran, den Ort des Grauens zu verlassen. Unablässig pendeln Dutzende von den Behörden requirierte Busse hin und her, um die Flüchtlinge hinauszuschaffen, doch ist das nichts als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die
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