Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
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3
Es ist kurz vor Morgengrauen. Maria merkt das an den sich verändernden Gerüchen sowie an dem Licht, das gedämpft durch die Vorhänge dringt. Sie träumt noch. Seit sie Holly zum ersten Mal in die Arme genommen hat, hat sie noch nie so tief geschlafen. Es ist, als sei aus dem Leib des Mädchens etwas auf ihren Organismus übergegangen. Eine Art Schwingung.
Marias Hände krampfen sich zusammen und lösen sich. Sie hat denselben Traum wie damals, als sie auf dem Rücksitz des Kleinlasters eingeschlafen war, unmittelbar, bevor sie die Zuflucht am Pearl River erreichten. Sie ist in San Francisco, doch fällt es ihr diesmal schwer, die Stadt wiederzuerkennen. Es sieht aus, als habe sie sich verändert oder, besser gesagt, vergrößert. Es sind viel mehr Gebäude, und sie sind auch viel höher. So hoch, dass man die Hügel fast nicht mehr sieht. So, als habe das frühere San Francisco dem neuen als Fundament gedient.
Sie steht am Fuß des Pyramid Building. Ihr ist klar, dass das aufragende Bauwerk mittlerweile lediglich als Pfeiler eines Wolkenkratzers dient. Er reicht so weit in die Höhe, dass sich seine Spitze fern im Dunst verliert. Sie wendet den Kopf und betrachtet den Wald aus silbrig schimmernden Gebäuden. Alle sind mit riesigen Paneelen bedeckt, die Sonnenenergie einfangen und sie dazu nutzen, das neue San Francisco mit Energie zu versorgen. Maria hebt den
Blick und sucht nach Vögeln. Zwar ist über den Gebäuden ein Himmel sichtbar, aber etwas an diesem nahezu synthetischen Blau stimmt nicht. Erstens, weil es vollständig leer ist, dann aber auch, weil es wie flüssige Farbe aussieht. Vor allem aber hat Maria bei genauem Hinsehen den Eindruck, dass sich das Ganze in schwindelerregender Höhe wie eine Kuppel krümmt, bevor es schlagartig endet. Dahinter beginnt der richtige Himmel: eine weiße Schicht unmittelbar vor dem Schwarz der Stratosphäre. Die Sonne leuchtet so stark, dass es ihr vorkommt, als wolle sie die Welt in Brand setzen. Maria erstarrt. Ein kleiner Punkt löst sich in einem winzigen blauen Blitz auf, als er die Kuppel berührt. Ein Kraftfeld. Auf diese Weise also verteidigt sich die neue Megalopole: mit einem Magnetfeld, das seine Kraft aus den tödlichen Strahlen der Sonne bezieht, um die Stadt vor dem Tod aus der Atmosphäre zu bewahren.
Maria geht weiter durch die verlassenen Straßen, die sich zwischen Wolkenkratzern dahinziehen. In der Ferne, dort, wo einst die Kaianlagen und die Gefängnisinsel Alcatraz lagen, erkennt sie eine riesige schwimmende Plattform voller Hallen aus Verbundwerkstoff, vor und in denen Raumschiffe gleich ungeheuer großen Käfern schimmern. Maria seufzt. In ihrem Traum fehlt noch etwas: die Gerüche. Sie kann die Luft einziehen, so viel sie will, darin liegt weder Blumenduft noch der Geruch nach Nahrungsmitteln – nicht einmal der Gestank aus Mülltonnen. Es ist, als atme sie eine vollständig künstliche Luft. Hinzu kommt der sonderbare Schimmer, das weiße Licht, das sich ausbreitet und das Zimmer immer mehr anfüllt, während sie allmählich aus dem Schlaf erwacht.
Nach und nach taucht sie an die Oberfläche empor. Etwas rüttelt an ihrer Schulter, dann fühlt sie etwas Warmes auf ihren Lippen, etwas, das sich bewegt und sanft daraufdrückt. Sie versucht durch den Mund Luft zu holen – vergeblich.
Eine Hand liegt darauf und hindert sie am Atmen. Sie öffnet die Augen und fährt zusammen, als sie über sich Walls’ kalten Blick sieht. Sie will um sich schlagen, doch die Hand des Archäologen drückt sie noch fester nieder. Sie tastet unter dem Federbett nach ihrer Waffe, bis ihr klar wird, dass ihre Jeans und ihr Holster auf dem Fußboden liegen. Sie kann sich nicht einmal erinnern, dass sie sie zum Schlafen ausgezogen hat. Sie versucht, Walls in die Hand zu beißen und sich zu befreien, doch dann erstarrt sie mitten in der Bewegung: Unter der Bettdecke sind ihre Finger auf etwas Weiches und Heißes gestoßen. Jetzt fällt ihr auf, dass die Temperatur im Zimmer stark angestiegen ist. Sie fragt Walls mit den Augen und versucht durch die Hand, die ihre Lippen zusammenpresst, etwas zu sagen.
»Pst, Maria. Sagen Sie nichts und machen Sie keine heftigen Bewegungen. Haben Sie mich verstanden?«
Er lenkt ihre Blicke zu Holly hin, die neben Maria auf dem Rücken liegt. Sie hat die Bettdecke weggestrampelt, und man sieht, dass ihre Unterwäsche nass ist. Mit halb geöffneten Augen scheint sie in kleinen raschen Stößen zu atmen. Maria
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