Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
des Schuppens roch es nach Stroh. Als sie eine Plane beiseitezog, war ein alter Buick zum Vorschein gekommen, dessen Motorhaube sich noch handwarm anfühlte. Sie hatte die Zündung kurzgeschlossen und den Wagen dann, mit Walls und Holly auf dem Rücksitz, in einer Staubwolke hinausgefahren und die Richtung nach Westen eingeschlagen.
Jetzt wirft sie den Rest ihrer Zigarette aus dem Fenster und sieht dabei im Rückspiegel flüchtig Hollys Gesicht, das im Schein der Innenbeleuchtung müde wirkt. Das Mädchen hat die Augen geöffnet und sieht starr in die Dunkelheit hinaus. Maria spürt, wie sich ihr Herz vor Beklemmung zusammenkrampft. Vor zwei Stunden hatten sie an einer menschenleeren Raststätte angehalten, Hamburger und Milchshakes bestellt und ihr Mahl schweigend verzehrt. Maria hatte gesehen, wie Holly mit langen Zähnen auf ihren Pommes frites herumgekaut und dann mit einem Halm ein wenig Vanilleeis aufgesaugt hatte. Dann hatte sie sich erneut an Walls gedrängt, der Parks verlegen zugelächelt hatte.
Maria streckt den Arm aus, um die Innenbeleuchtung abzuschalten. Sie möchte gern, dass Holly wieder einschläft und Gordon wach wird. Sie flüstert: »Alles in Ordnung, Schätzchen?«
Holly gibt keine Antwort. Sie hat die Augen wieder geschlossen. Sie hört, was ihr Gordon in Gedanken zuflüstert. Auch er schläft nicht. Jetzt schlagen ihre Herzen beinah im selben Takt.
Angefangen hatte das nach der Pause im Rasthaus, als es dunkel geworden war und Maria nach Norden geschwenkt
war, wobei sie große Umwege fuhr. Gordon hatte ihr gezeigt, auf welchem Weg sich ein am Ufer des Vaters aller Ströme liegendes Heiligtum erreichen ließ, wo sie Zuflucht finden konnten. Dann hatte er die Augen geschlossen und Holly gewiegt. Der Kleinen ging es nicht gut, das spürte er. Sie war nicht einfach traurig oder verängstigt. Trotz Neeras Talisman stand sie im Begriff, sich zu verändern, älter zu werden. Ihre Kräfte schwanden so, wie sich eine Batterie entlädt. Das konnte nur bedeuten, dass die letzten Verehrungswürdigen im Sterben lagen und sie sich beeilen mussten, damit nicht die, die im Heiligtum der Quelle im Todeskampf lag, starb, bevor sie es erreichten.
Walls hatte sich konzentriert und dabei die ersten Tumore im Organismus des Mädchens entdeckt. Es waren erst winzige Knötchen, aber sie wuchsen. Vor allem aber begann Holly, innerlich auf Distanz zu gehen. Im Verlauf der letzten Tage, seit sie sich im Superdome mit anderen zusammengedrängt wiedergefunden hatte, während das Wasser um sie herum anstieg und sie die Schreie der Frauen gehört hatte, die im Dunkeln vergewaltigt wurden, hatte sie sich bemüht, nicht mehr daran zu denken, wie es gewesen war, unmittelbar bevor sie ihren Eltern im Einkaufszentrum von New Orleans davongelaufen war. Sie wäre gern mit ihnen gestorben. Sie wollte jetzt sterben. Nach den Vorfällen von Gerald war sie ganz verkrampft und wie erstarrt. Dann war die Anspannung mit einem Schlag von ihr gewichen, und sie hatte ununterbrochen geweint. Als Gordon spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte, war ihm aufgegangen, dass sie versuchte, die Luft anzuhalten, um zu sterben. Anfangs hatte sie die Lunge vollgesogen und sich gezwungen durchzuhalten, bis sie den metallischen Geschmack von Blut im Mund spürte. Als sie jetzt merkte, dass das nicht genügte, stieß sie alle Luft aus und ballte die Hände zu Fäusten, um sich selbst Mut zu machen. Als
Maria ihr Mobiltelefon aus dem Fenster warf, hatte Walls dem Mädchen sacht seine Finger auf die Hand gelegt und ihr zugeflüstert, sie solle das sein lassen. Sie hatte nicht darauf gehört, war in seinen Armen ganz starr geworden. Schon umnebelte sich ihr Blick. Sie würde es schaffen. Daraufhin hatte ihr Walls einen leichten Impuls geschickt, ihren Puls mit dem seinen synchronisiert und ihn dann allmählich bis auf den Normalwert verlangsamt.
Kurz, nachdem Maria die Innenbeleuchtung abgeschaltet hat, öffnet Holly den Mund, um etwas Luft zu schöpfen. Ärgerlich flüstert sie Walls ins Ohr: »Lass mich zufrieden, verdammter Mutant! Du hast nicht das Recht, mich zu behindern.«
»Ich kann nicht zulassen, dass du das tust, Schätzchen.«
»Nenn mich nicht so. Nur Maria darf Schätzchen sagen.«
»Darf ich dir wenigstens eine Frage stellen?«
»Hab ich das Recht, sie nicht zu beantworten?«
»Ja.«
»Dann von mir aus.«
»Warum willst du sterben?«
»Ich will nicht sterben, ich will es machen wie die Ameisen, wenn sie in der Falle sitzen und
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