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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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Heiligtum, das des hohen Berges Inmach, das den Verehrungswürdigen Müttern gehört. Sie, die Bewahrerinnen von Gäas Macht, schützen die sieben Stämme der Mondleute. Dort haben sie sich für die große Übertragung versammelt, und der Erzfeind hat ihre Fährte aufgenommen.
    Neera versucht, aus den Schwingungen, die sie empfängt, einen Zusammenhang herzustellen. Weitere Bilder breiten sich in ihrem Geist aus. Sie sieht das verlorene Heiligtum auf den uneinnehmbaren Höhen des gewaltigen Berges Inmach und den schweren Granittisch, um den herum die Verehrungswürdigen Platz genommen haben. Dort sitzen sie mit gebeugtem Rücken, die alten faltigen Gesichter unter einer Kapuze verborgen. Hinter ihnen stehen die Aïkane aller sieben Stämme des Mondes. Die Verehrungswürdigen stehen im Begriff zu sterben, um erneut geboren zu werden, ein Kreislauf, der sich alle vierhundert Jahre wiederholt.
    Die letzten Schwingungen werden schwächer, die Bilder, die sie enthalten, immer undeutlicher. Jetzt sieht Neera die alte Alya Steinhaut, die Verehrungswürdige Mutter ihres eigenen Stammes. Sie ballt die Hände zu Fäusten, als sie das Gesicht der Aïkan hinter ihr entdeckt. Melia, eine Seherin, die vier Jahre älter ist als sie selbst. Zwar ist sie schön, aber nicht so schön wie Neera. Sie ist sehr hoch gewachsen und verbirgt sich unter einem Umhang, der sie vor den beißenden Winden des Inmach schützt, doch was
auch immer sie tun mag, sie wird nie so mächtig sein wie Neera.
    Während Neera jetzt in ihre Hände haucht, um sie zu wärmen, sieht sie auf die feinen tanzenden Fäden, die zwischen ihren Fingern in der kalten Luft aufsteigen und im Dunst verschwinden. Darüber schließen sich die Wolken nach und nach und bilden eine Art Schutzdach, während die Umrisse der Landschaft im Licht des beginnenden Tages erkennbar werden. Neera sieht zum See mit dem dunklen Wasser hinüber, der an den heiligen Hügel stößt. Dort entspringt Meka Teka, der Vater aller Gewässer. Anfangs ein schmales Rinnsal, dann ein wilder Sturzbach und schließlich ein behäbiger Fluss. Hier beginnt er seinen langsamen Lauf über den Leib der Erdmutter, hier nimmt alles seinen Anfang und findet alles sein Ende.
    Vom Himmel ertönt ein lauter Schrei. Neera duckt den Kopf unter die Brombeerranken. Die Jäger neben ihr achten aufmerksam auf die riesigen Geier, die den See überfliegen. Die Zuträger des Erzfeindes, die mit scharfem Blick im Unterholz und zwischen Felsbrocken nach Überlebenden der Mondleute spähen. Sie entfernen sich. Neeras Geist holt sie am Rand des Horizonts ein. Sie spürt den kalten Wind in ihrem Gefieder. Die Muskeln ihrer Flügel zucken unter der dünnen, festen Haut. Sie weiß, dass die großen Geier klug und grausam sind und sie sich nicht lange in ihrem Geist aufhalten darf. Sie sieht durch ihre Augen, sucht die Ebene und den gewundenen Lauf des Vaters aller Ströme ab, Uferböschungen und Gesträuch. In der Ferne zeichnet sich die schwarze Linie des Waldes ab, in dem sie den Wölfen mit knapper Not entkommen ist. Dahinter macht der Fluss eine Biegung in Richtung Sonnenaufgang, bevor er sich dem fernen Meer zuwendet, in das er seine schlammigen Fluten ergießen wird.
    Der Geier Neera spannt die Muskeln und gewinnt an
Höhe. Sie kneift die Augen zusammen, um den eisigen Dunst über dem Boden mit ihren Blicken zu durchdringen. Schwarze Rauchwolken steigen von den Ufern des Flusses auf, an dem die Ihren seit Jahrhunderten gelebt hatten. Sie stößt einen lang gezogenen Schrei voll Schmerz und Hass aus, der in der Kehle des Geiers widerhallt. Jetzt weiß sie, dass die sieben Stämme der Mondleute ausgelöscht sind. Wohin auch immer sich der Blick des Aasfressers richtet, sie sieht nichts als eine ferne Linie bräunlichen Dunstes, der sich über die große Ebene ausbreitet. Der Erzfeind sucht die uralte Alya Steinhaut, die einzige Verehrungswürdige, die dem Gemetzel entkommen ist. Schwer verletzt hat sie sich in die Höhle auf dem Gipfel des Berghei ligtums geflüchtet. Sie ist schwach. Schon schlägt ihr Herz langsamer. Deshalb waren die leichten Erschütterungen, welche die Erdmutter durchliefen, unter Neeras Händen so wenig zu spüren. Sie bemühen sich, Verbindung mit der alten Alya Steinhaut aufzunehmen, doch das innere Feuer, das sie anzieht, steht im Begriff zu erlöschen. Wenn die letzte Verehrungswürdige dahingeht, bevor sie ihre Macht übertragen konnte, wird Gäa selbst auf alle Zeiten mit ihr untergehen.
    Neeras

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