Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
nachgehen können. Einige hatten erklärt, der Unbekannte sei am Straßenrand entlanggegangen und habe sich lediglich kurz durch das Wagenfenster zu Bishop hineingebeugt. Andere hingegen hatten Stein und Bein geschworen, dass er in dessen Auto gesessen habe und einige Augenblicke vor dem Auftauchen des Polizeibeamten ausgestiegen sei. In einem Punkt aber waren sich alle einig: Der Unbekannte hatte sich, kaum dass er sich von Bishops Wagen entfernt hatte, über das Geländer geschwungen und sich in Richtung auf den Liberty State Park davongemacht.
Maria blättert zurück und nimmt sich die einzelnen Berichte erneut vor. Ein gewisser Karl Christiansen, ein angesehener Paläontologe, war auf seinem Wohnboot in einer der Grachten Amsterdams aufgefunden worden. In dieser schwimmenden Junggesellenwohnung pflegte er, wie es hieß, seine Eroberungen zu empfangen. Einige Stunden nach der Entdeckung der Leiche hatte ein Polizeibeamter die Aussage eines Obdachlosen aufgenommen, der unweit des Bootes unter einer Brücke hauste. Er erinnerte sich daran, kurz vor Morgengrauen das Geräusch von Stiefeln auf der Laufplanke gehört zu haben. Daraufhin habe er kurz den Kopf aus seinem Karton gesteckt und gesehen, dass jemand das Wohnboot des Professors verließ. Ein Mann in einem schwarzen Mantel.
»Sicher verstehen Sie, dass ich das sonderbar fand, denn
da gingen fast immer nur erstklassig gebaute Miezen hin, aber nie große und starke Kerle.«
Mit der Begründung, dass der Zeuge nach Bier roch, hatte der vernehmende Beamte auf eine gründliche Befragung des Obdachlosen verzichtet. Dieser hatte noch gesagt, jemand habe den Unbekannten mit einem Motorrad abgeholt. Ein junger Mann mit Helm, Handschuhen und Lederjacke. Die beiden seien davongebraust, und das Letzte, woran sich der Obdachlose erinnerte, war, dass er automatisch den Kopf gesenkt hatte, als das Licht des Motorradscheinwerfers in die Dunkelheit unter die Brücke gedrungen war.
Nervös lässt Maria ihr Feuerzeug aufschnappen.
Nun frag ihn endlich, verdammt noch mal!
Angesichts dieser Einzelheiten hatte sich der Polizeibeamte tatsächlich dazu herabgelassen, den Obdachlosen schließlich zu fragen, ob ihm an dem Unbekannten, der das Boot verließ, etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei.
»Ungewöhnlich? Sie meinen, dass da was faul sein könnte?«
»So in der Art.«
»Schon, aber wann?«
»Was heißt wann?«
»Bevor er aufs Motorrad gestiegen ist, oder hinterher?«
»Von mir aus vorher, während oder hinterher. Nun?«
Der Obdachlose hatte einen Augenblick lang überlegt, dann war ihm eingefallen, dass der Mann mit dem Motorrad nicht sofort gekommen war. Der Unbekannte habe, nachdem er das Boot verlassen hatte, eine Weile gewartet.
»Und?«
»Als das Motorrad kam, hab ich im Scheinwerferlicht das Gesicht von dem Kerl gut sehen können. Ich muss Ihnen sagen, dass ich noch nie im Leben solche Angst hatte.«
»Warum?«
»Weil das Gesicht aussah wie... tot. Ja, genau. Ein Gesicht wie Wachs mit großen schwarzen Schatten unter den Augen. Und soll ich Ihnen das Schlimmste sagen?«
»Nur zu. Keine Hemmungen.«
»Bevor er aufgestiegen ist, hat er den Blick gehoben und genau in meine Richtung geschaut. Eigentlich kann er mich unter meinen Kartons unmöglich gesehen haben, aber ich bin sicher, dass er es doch getan hat.«
»Und warum hat er sich dann Ihrer Ansicht nach damit begnügt, nur zu Ihnen hinzuschauen?«
»Weil ich noch nicht dran war.«
»Was wollen Sie damit sagen, dass Sie noch nicht dran waren?«
»Mann, ist das immer noch nicht klar? Der Bursche war der Tod persönlich. Der alte Sensenmann, der gekommen war, um seine Ernte einzufahren. Der Professor hat eben auf seiner Liste gestanden, und ich nicht. Deshalb hat er sich damit begnügt, mir zuzulächeln, als er auf dem Motorrad verschwunden ist.«
Maria spürt, wie ihr Herz schneller schlägt. Endlich hat sie eine Spur. Rasch geht sie die letzten Berichte durch. An den anderen Schauplätzen hatte niemand einen Mann in Schwarz gesehen. Sie fährt ihren Notebook-Rechner hoch und wählt sich in die Datenbank des FBI ein. Nach Eingabe ihrer Kennworte gelangt sie ins Video-Überwachungssystem der Vereinigten Staaten. Sie wählt den Flughafen von Los Angeles aus und sucht in den Archiven den Bericht über die Videoüberwachung für den Abend des 12. Oktober ab neun Uhr. Zu diesem Zeitpunkt war der aus Bangkok kommende Flug der Thai Airways 6514 gelandet.
Die Kameras an der Fluggastbrücke zeigen den Ausgang
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