Die Brut hinter der Mauer
er nur genießen.
Lächelnd schritt er die Reihe ab und kam sich vor wie ein Schleifer beim Militär. »Ich werde euch gehen lassen!« sagte er. »Ich werde dafür sorgen, daß ihr nur meinen Befehlen gehorcht. Noch steht ihr nur unter dem Bann des veränderten Lichts, das aber wird sich bald ändern, wenn ihr in den Sumpf hineingeht, dort erstickt und beim Schein des Mondes wieder hervorkommt. Als Untote, als mit Sternenlicht gefüllte Zombies, die auf Rachetour gehen.« Er freute sich über seine eigenen Worte, lachte auf und klatschte in die Hände.
Damit hatte er sich selbst ein Zeichen gegeben, das er direkt weiterreichte.
Er brauchte den Arm nur kurz zu senken und durch seinen Gedanken den nächsten Befehl zu geben.
Kaum einen Herzschlag später setzte sich die Reihe der Schüler in Bewegung.
Sie gingen in Richtung Sumpf.
Johnny Conolly an der Spitze, denn er sollte zuerst im grünbraunen Schlamm versinken…
***
Sheila konnte es nicht fassen. Sie sprang auf Suko zu und klammerte sich an seinem Arm fest. Beide waren einige Schritte zurückgegangen, so daß sie die offene Tür fast erreicht hatten.
»Sag du es!« flüsterte Sheila nach einer Weile. »Sag du, ob du das gleiche siehst wie ich.«
»Wahrscheinlich.«
»Ihr Geist!« hauchte Sheila. »Gütiger Himmel, der hat den Körper verlassen. Wegen Johnny?«
»Ich glaube es.«
»Ob er dann noch lebt?«
Die Frage hatte schrill geklungen und auf Sukos Rücken einen Schauer hinterlassen. Ob er dann noch lebt?
Verdammt, viel Hoffnung besaß der Inspektor auch nicht mehr, obwohl Nadine bestimmt nicht ohne Grund Körper und Seele gespalten hatte, was bei ihr eigentlich recht selten vorkam. Man konnte diese Vorgänge an einer Hand abzählen. Wenn das passierte, mußte es einen triftigen Grund geben, der mit der Familie Conolly zusammenhing, in diesem Fall war es das jüngste Mitglied.
Beide konnten nichts tun. Obwohl Suko gewissermaßen magisch vorgebildet war, durfte er in diesem Fall nicht eingreifen und mußte alles den magischen Gesetzen überlassen, was er auch tat. Der Körper der Wölfin lag bewegungslos auf dem Bett. Er sah aus wie tot.
Dafür schwebte über ihm ein heller Schatten, als hätte jemand den Umriß eines Frauenkörpers mit einem Stift in die Luft gemalt. Es war die ungeheure Tragik der Nadine Berger, daß die Seele und der Wolfskörper die meiste Zeit über eine Einheit bildeten und nicht getrennt werden konnten. Trat dieses Phänomen dennoch ein, gelang es dem Geist nicht, sich zu materialisieren. Er war und blieb ein Geist, ohne in der Lage zu sein, feste Materie anzunehmen.
Eine schlimme Sache, ein grausamer Fluch, der weder von John noch von Bill oder Suko hatte gelöscht werden können.
Sogar das lange Haar konnten sie erkennen. Es umzitterte den schlanken Schädel der Wölfin, und es sah so aus, als wollte der Geist sich mit ihnen in Verbindung setzen, denn über dem leblosen Körper drehte er sich den beiden Wartenden zu.
»Nadine!« Sheila konnte nicht mehr an sich halten, sie mußte den Namen einfach flüstern. »Bitte, Nadine, kannst du sprechen? Was ist mit Johnny geschehen?«
Im nächsten Augenblick bekamen beide einen Schauer, denn im Gesicht des Geistes zuckte es, als sollte sich dort eine Antwort abzeichnen. Aber sie hörten nichts. Weder auf akustischem oder telepathischem Wege. Dennoch gab der Geist ihnen eine Antwort, denn sie glaubten, ein Nicken gesehen zu haben. »Ist er…?«
»Nicht, Sheila!« zischte Suko. »Nicht das letzte Wort aussprechen. Nadine wird…«
Aus Sheilas Augen rannen Tränen. »Ich kann es nicht fassen, ich begreife es nicht.«
»Sie wird gespürt haben, daß er Hilfe braucht. Und sie wird ihn nicht im Stich lassen.«
»Wie denn, Suko, was will sie tun?«
Der Inspektor verschluckte die Antwort, weil die Ereignisse dies erübrigten.
Dort, wo der Geist soeben noch über dem Körper gestanden hatte, war ein Flimmern zu sehen — dann nichts mehr. Weg war er, wie fortgeblasen, nicht mehr sichtbar.
Sheila weinte leise, Suko atmete zischend aus, wobei er sich die Frage stellte, ob alles umsonst gewesen war. Hatte Nadine mit einem letzten Aufflackern noch versucht, etwas zu retten und Johnny aus der Lebensgefahr herauszuholen?
Suko wußte es nicht, auch von Sheila hätte er keine Antwort bekommen können. Sie war fertig.
Er ging auf das Bett zu. Nur wenige Schritte, die ihm allerdings schwerfielen.
Leblos lag die Wölfin auf dem Bett. In einer deprimierenden Rückenlage, die vier
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