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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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stopfte die Shorts und das T-Shirt in den Beutel, riss die unterste Wäscheschublade auf und quetschte ihn in den hintersten Winkel. Ein durchsichtiger rosa Slip mit Rüschen, den Sebastian ihr einmal aus Jux geschenkt hatte, fiel heraus.
    »Ich verspreche Ihnen, wir tun alles, um Victor so schnell wie möglich zurückzubringen.«
    Tessa war bei den ersten Worten herumgefahren. Mara Stein stand auf der obersten Treppenstufe. Sie war eine kleine Frau, zart, unauffällige Kleidung, etwas älter als sie selbst, Gebrauchshaarschnitt. Tessa versuchte, den Slip, den sie vom Boden aufgehoben hatte, in ihrer Faust verschwinden zu lassen. Obwohl er eigentlich aus Nichts bestand, schaute rechts und links ein rosa Zipfel hervor.
    Die Psychologin lächelte. »Stört es Sie, wenn ich mich eine Weile zu Ihnen setze?« Es klang beinahe schüchtern. »Da unten stehe ich doch nur im Weg rum.«
    »Bitte.« Tessa machte eine unbestimmte Geste in Richtung des einzigen Sessels, der im Schlafbereich stand. T-Shirts und Socken von Sebastian hingen über der Rücklehne.
    »Machen Sie sich keine Umstände«, sagte Mara Stein, als sie merkte, dass Tessa zum Sessel gehen und die Wäschestücke entfernen wollte. Sie nahm an der vordersten Kante des klobigen Möbels Platz. Schmal wie eine Erstkommunikantin saß sie dort.
    »Ich kann nur ahnen, was Sie gerade durchmachen. Es muss das Schlimmste sein, was einer Mutter passieren kann.«
    Wortlos zog Tessa eine andere Schublade heraus und stopfte den Slip hinein.
    »Ich wollte immer Kinder haben«, redete die Psychologin weiter, als habe Tessa ihr Tee und Gurkensandwiches angeboten. »Aber ich habe mir gesagt:
Warte noch, bis du dein Studium zu Ende gebracht hast. Warte, bis du fest angestellt bist
. Immer fand ich einen Grund zu warten. Und dann – dann war es plötzlich zu spät.« Die Psychologin machte eine Pause. »Ich kann keine Kinder mehr bekommen«, fügte sie leiser hinzu.
    Tessa schloss die Schublade mit einem Knall. Was sollte das? War diese Frau ernsthaft zu ihr gekommen, um ihr etwas über Gebärmutterkrebs oder verklebte Eierstöcke vorzujammern?
    »Finden Sie Victor.« Tessa ging zu einem der Schränke und öffnete die Tür. Sie hatte keine Ahnung, was sie in dem Schrank wollte.
    »Kommissar Kramer ist der beste Mann, den wir haben. Alle unsere Leute arbeiten mit vollem Einsatz.«
    Tessa entdeckte zwei weiße Anzüge, die sie nie getragen hatte. Vielleicht war es ehrlicher, sie gleich zur Altkleidersammlung zu bringen.
    »Es muss doch manchmal auch ganz schön bedrohlich sein, so im Rampenlicht zu stehen wie Sie. Sie bekommen doch sicher viele Fanbriefe, die nicht immer nur angenehm sind.«
    Das dunkelrote Kleid ganz links hatte sie auch noch nie getragen.
    »Machen Sie sich mal keine Sorgen«, antwortete Tessa, bevor sie sich ins Gedächtnis rufen konnte, dass sie mit der Frau eigentlich nicht reden wollte. »Das schlimmste Zeug sortiert meine Redaktion aus.«
    »Das ist ja gut, wenn die das von Ihnen fern halten«, nahm die Psychologin das mickrige Fadenende, das Tessa ihr hingeworfen hatte, dankbar auf. »Aber wenn Sie jemand richtig bedrohen würde, das würden die Ihnen doch sagen?«
    »Keine Ahnung. Fragen Sie die in der Redaktion.«
    »Ich kann mir vorstellen, dass es viele Frauen gibt, die neidisch auf Sie sind«, suchte die Psychologin einen neuen Einstieg, nachdem ihr klar wurde, dass Tessa zu dem anderen Thema alles gesagt hatte. »Auf das, was Sie erreicht haben. Auf Ihr Glück.«
    Tessa wollte gerade aufbrausen, die Frau anschreien, dass sie sie mit ihrem Gewäsch verschonen sollte, als sie hörte, wie sich unten die Fahrstuhltüren öffneten.
    Die Angst hatte ihn in wenigen Stunden altern lassen. Seine Augen waren kleiner als sonst, verschwollen, der Ansatz eines Ticks war in sein linkes Lid gekrochen. Er hatte sich nicht rasiert. Aus den Linien, die sich rechts und links von seinen Nasenflügeln zu seinen Mundwinkeln hinunterzogen, waren tiefe Furchen geworden. Ein steinernes Gesicht, von einem unbarmherzigen Bildhauer gemeißelt.
    Sebastian, es ist nicht meine Schuld. Es tut mir so Leid. Nichts, was ich sage, macht irgendetwas wieder gut. Es tut mir so Leid.
    Er ließ die lederne Umhängetasche, die er über der Schulter hatte, achtlos zu Boden fallen. Etwas darin klirrte. Die Tasche war sein einziges Gepäck. Als Tessa ihn umarmte, spürte sie, dass sein Hemd nass war. Er erwiderte die Umarmung nur kurz, dann fasste er sie an beiden Schultern, schaute sie an, als

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