Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
der nette Mann mit dem Schnurrbart einen Brief des Jungen über den Tresen gereicht. Von Tag zu Tag waren sie mutiger geworden, liebten sich mehr. Aber eines Morgens hatte sie dann verschlafen, beim Frühstück in dem großen, lauten Saal hatte ihre Stiefmutter dann das hellblaue Kuvert über den Tisch geschoben. Als Tessa es umdrehte, sah sie, dass der Sonnenblumensticker, der hinten auf dem Umschlag klebte, in der Mitte zerrissen war, und hörte ihre Stiefmutter sagen:
Ach Gott, in dem Alter sind sie ja noch so niedlich
. Am ersten Tag nach den Sommerferien hatte sie sich von dem Jungen getrennt.
    Ein schwarzes, quadratisches Kuvert aus schwerem Papier, das Tessa beim ersten Durchblättern übersehen hatte, rutschte aus dem Stapel. Ihr Name und ihre Adresse waren mit einem ebenfalls schwarzen Lackstift auf den Umschlag geschrieben, es wunderte sie, dass die Post den Brief überhaupt transportiert hatte. Sie konnte keinen Absender entdecken. Der Brief war geöffnet wie die anderen, Kommissar Kramer hätte sie gewarnt, wenn der Brief etwas enthielt, das mit Victor zusammenhing. Eine dunkle, quadratische Plastikkarte, einem Fotonegativ nicht unähnlich, nur dicker, steckte in dem Kuvert. Tessa musste sie gegen das Licht halten, um etwas entziffern zu können.
    The Lord has taken my sweet little girl, our beloved sister …
    Eine Einladung zu Nualas Beerdigung am kommenden Montag. Der Brief musste gestern abgeschickt worden sein, bevor die Öffentlichkeit von Victors Entführung erfahren hatte. Obwohl. Vielleicht hatte Nualas Clan auch erst wieder an sie gedacht,
nachdem
sie in den Nachrichten von Victors Entführung gehört hatten. Schmerz zu Schmerz. Mit einer heftigen Bewegung stopfte Tessa die Plastikkarte in das Kuvert zurück.
    Sie hatten die Krankenhausauffahrt erreicht. Kommissar Kramer blinkte, um auf den Besucherparkplatz einzubiegen. Tessa löste ihren Gurt.
    »Lassen Sie mich doch einfach am Eingang raus, dann brauchen Sie keinen Parkplatz zu suchen«, sagte sie, »zurück nehme ich mir dann ein Taxi. Es war sehr nett, dass Sie mich gefahren haben.«
    Der Kommissar bog auf den Parkplatz ein. »Ich bleibe schon bei Ihnen«, sagte er und lächelte. »Ich habe den Rechtsmediziner herbestellt. Er soll sich Ihre Verletzung auch noch mal anschauen.«
    »Den Rechtsmediziner?«
    »Vielleicht finden wir irgendwas, das uns weiterhilft.«
    Tessa schaute den Kommissar fragend an.
    »Anhand von Lage und Tiefe der Wunde können wir zum Beispiel einschätzen, ob es ein eher großer oder kleiner Täter war«, erklärte der. »Ob er Kraft hatte oder nicht und so weiter.«
    »Ach so.« Irgendwie gelang es Tessa, ein Lächeln zustande zu bringen. »Das wusste ich nicht.«
    Arndt Kramer fand einen freien Parkplatz und manövrierte den Mercedes umständlich hinein. »So. Da wären wir. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich den Schlüssel behalte?«
    »Nein. Natürlich nicht.« Reglos blieb sie sitzen, während der Kommissar ausstieg und die Fahrertür zuwarf.
    »Kommen Sie?« Er war um den Wagen herumgegangen und hielt ihr die Tür auf. Die Luft war klar und morgenwarm.
    »Ist Ihnen nicht gut?«
    »Danke. Es geht schon.«
    Vorsichtig setzte Tessa einen Fuß auf den Asphalt. Solange die Maus sich bewegte, war sie noch nicht tot.
    Der Geruch von Krankheit und aussichtslosem Kampf schlug ihr entgegen, als sich die Schiebetüren öffneten. Zigmal war sie an dem großen grau-gelben Gebäude vorbeigefahren, ohne zu realisieren, dass es ein Krankenhaus war. Für sie war es irgendeine öffentliche Anstalt gewesen, die in ihrem Leben nicht mehr vorkam.
    »Ich erkundige mich, wo wir hinmüssen«, sagte der Kommissar. »Wollen Sie sich solange setzen?«
    Rechts, vor einer langen Fensterscheibe, hinter der Parkartiges zu liegen schien, entdeckte Tessa drei fest montierte Plastiksitze. Der erste hatte einen Sprung, auf dem zweiten klebte etwas Grünes, das Kaugummi sein konnte, der dritte schien in Ordnung zu sein. Sie setzte sich.
    Es war lächerlich. Wovor hatte sie Angst? Sie war überfallen worden. Mit einem dicken Ast niedergeschlagen. Der Rechtsmediziner würde das alles nur bestätigen.
    Kommissar Kramer redete mit der Schwester hinter dem Aufnahmeschalter. Tessa konnte nicht verstehen, was er sagte. Seine rechte Hand griff Büschel seiner Nackenhaare und drehte sie. In der Nähe des Eingangs plätscherte ein Springbrunnen, trauriges Mosaik über drei Becken verteilt. Eine dicke Frau, die türkisch aussah oder arabisch, durchquerte

Weitere Kostenlose Bücher