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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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stillen.
    »Tessa hat mir erzählt, dass du jetzt auch mit der Schauspielerei anfangen willst?«, fragte Sebastian, während er Felis Glas voll schenkte. Jetzt erst sah Tessa, dass er sich auch ein Glas mitgebracht hatte. Sie öffnete den Mund und machte ihn wieder zu.
    »Ich hab ja schon in zwei Filmen mitgespielt. Ist aber ‘ne Weile her.«
    »Was war das?«
    »Ach, so Fernsehkrimis. Nix Wichtiges.«
    »Haben wir eigentlich eine CD von Feli?« Sebastian schaute Tessa an, die zum Kinderwagen gegangen war. Sie hatte sich getäuscht. Victor schlief. Vorhin, als Curt gebrüllt hatte, hatte sie ihn ins Schlafzimmer gebracht. Es war ein Wunder, dass er nur kurz aufgewacht war, etwas geweint und dann gleich weitergeschlafen hatte.
    »Bestimmt.« Tessa setzte sich neben Sebastian, der aus den Sandalen geschlüpft war. Mit nackten Sohlen strich sie über seinen Fußrücken. »Du hattest mir deine letzte CD doch geschickt?«, fragte sie ihre Schwester. Ihr war nicht entgangen, dass Feli kurz nach unten geschaut hatte und jetzt ihren Blick absichtlich über dem Tisch hielt.
    »Ich hab dir alle meine CDs geschickt, Schwesterlein.«
    »Dann werden sie auch alle unten im Regal sein.« Ihr Fuß kletterte Sebastians Schienbein hinauf.
    »Ich hätte große Lust, was zu hören«, sagte er und stand auf. »Welche CD soll ich holen?«
    »Ich weiß ja nicht, ob das deine Musik ist. Vielleicht am ehesten
Unspoken Love

    Tessa schaute zwischen Sebastian und ihrer Schwester hin und her. Victor schlief immer noch. Ihre Schwester würde hohnlachen, wenn sie die beiden bat, jetzt keine Musik zu hören. Sie verstand nicht, was in Sebastian gefahren war. Noch nie hatte er sich für das interessiert, was Feli tat.
    »Oder sollen wir lieber runter ins Wohnzimmer gehen«, fragte Sebastian. »Vielleicht wecken wir sonst Victor?«
    »Ach was. Es ist so ein schöner Abend. Wir brauchen die Musik ja nicht voll aufzudrehen«, antwortete Tessa schnell. Was war hier los? Wollten sich die beiden wie Teenager ins Zimmer zurückziehen, um ungestört Musik zu hören, während Mama den Abwasch machte? Tessa fuhr sich über die Stirn. Sebastian spürte wahrscheinlich nur, dass es ihrer Schwester nicht gut ging. Er versuchte freundlich zu sein. Familie war ihm wichtig. Er hatte schon die ganze Zeit darunter gelitten, dass seine Quasi-Schwägerin und sein Neffe so selten bei ihnen zu Besuch waren, obwohl sie in derselben Stadt lebten. Es ging ihm nicht wirklich um Feli.
    Wenige Minuten später war Sebastian mit dem Ghettoblaster zurück. Tessa hatte nur eine undeutliche Erinnerung an die Musik, die ihre Schwester mit den
Sad Animals
gemacht hatte. Irgendwas auf halbem Weg vom Blues zum Country. Mit viel Gitarre. Sie war nie ein großer Fan davon gewesen.
    »Er schlug nach ihr. Da wurde ihr Gesicht
    sehr schmal und farblos wie erstarrter Brei.
    Er hätte gern ihr Hirn gesehn. – Das Licht
    blieb grell. Ein Hund lief draußen laut vorbei.«
    Sebastian hatte das Kinn aufgestützt und lauschte. Auch Tessa gefiel die Musik besser als in ihrer Erinnerung.
    »Ist das nicht ein Gedicht von der Kräftner?«, fragte er plötzlich.
    Felis Gesicht riss auf wie der Himmel nach einem Gewitter. »Du kennst das?«
    »Ich bin gerade dabei – ich hab mal eine CD mit Gedichten aufgenommen. Da hatten wir überlegt, ob wir’s nicht dazunehmen.«
    »Mensch. Ich hab noch nie jemanden getroffen, der das Gedicht kennt.«
    Tessa stand auf und ging zu Victor. Seine Augen waren noch riesiger als sonst.
    »Vor allem die zweite Strophe. Das ist so – gewaltig, so monstertraurig, früher hab ich da immer geheult.« Feli begann, das Zwischenspiel mitzusummen.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass jemand heute noch Hertha Kräftner kennt«, sagte Sebastian. »Es ist eine großartige Idee –«
    »Psst. Jetzt.« Feli legte einen Finger an die Lippen, als ihre Stimme erneut aus dem Lautsprecher erklang.
    »Sie dachte nicht an Schuld und Schmerz und nicht
    an die Verzeihung. Sie dachte keine Klage.
    Sie fühlte nur den Schlag vom nächsten Tage
    voraus. Und sie begriff auch diesen nicht.«
    »Ist das nicht Wahnsinn?«, sagte Feli, nachdem der letzte Ton verklungen war. »Diese Frau war so klug, so – der Hammer.«
    »Und dabei war die Kräftner doch noch ein halbes Kind, als sie das geschrieben hat. Wie alt ist sie geworden? Zweiundzwanzig? Dreiundzwanzig?«
    »Ich kann’s immer noch nicht fassen, dass du sie kennst.« Feli klang so aufgekratzt wie seit Ewigkeiten nicht mehr. »Eigentlich

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