Die Buchmagier: Roman (German Edition)
Libriomantik! Es ist wie bei Kopernikus, der unser Verständnis des Sonnensystems neu geformt hat! Es ist revolutionär! Alles, was ich zu wissen geglaubt habe … Es gibt so viel mehr, und es liegt einfach hier. Wartet darauf, entschlüsselt zu werden!«
»Was meinst du, macht Charles Hubert wohl, während du über diesen Blöcken brütest?«
Ich hätte Wochen, ja Monate damit zubringen mögen, den Automaten zu untersuchen, aber sie hatte recht, verdammt! »Du warst imstande, das Holz weicher werden zu lassen, um die Lettern zu entfernen. Denkst du, du könntest ihn auch heilen?«
»Vielleicht.« Sie studierte den gespaltenen Schädel und das Holz, das den Körper aufspießte. »Und warum genau sollte ich das tun?«
»Die Automaten wurden erschaffen, um Gutenberg zu beschützen. Den hier hat Hubert zerstört, woraus ich schließe, dass er nicht unter seiner Kontrolle stand. Wenn wir ihn also reparieren können, könnte er uns zu den beiden führen.« Einen nach dem andern drückte ich die Lettern wieder in die passenden Vertiefungen im Holz. Sie rasteten ein, als handele es sich bei dem hölzernen Körper um den stärksten Magneten der Welt. Als ich fertig war, packte Lena den Ast in seiner Brust und drehte daran. Ihre Finger sanken bis zu den Knöcheln ins Holz; die Muskeln in ihren Armen, ihren Schultern, an ihrem Hals traten wie Stränge hervor, als sie ihn langsam herauszog. Das andere Ende des Astes war über einen Meter in die Erde eingedrungen, hineingetrieben vom Gewicht des fallenden Baums.
»Abgesehen von dem Loch in der Brust wurde der bedeutendste Schaden dem Kopf zugefügt.« Ich rutschte hinüber, um die beiden Hälften in Augenschein zu nehmen, die wie die Schale einer enormen Kokosnuss auseinandergefallen waren. Der Kiefer hing an einem krummen Messingstift auf einer Seite. Ich sammelte Zahnräder und Stäbe vom Boden auf; Federn konnte ich keine finden: Zauberei nahm offensichtlich die Stelle eines mechanischen Antriebs ein.
Aus dem Hals ragte ein Metallstab von einem Zoll Durchmesser heraus. Gerissene Silberketten waren durch kleinere, messinggeränderte Löcher darin gefädelt. Ich nahm ein kleines Holzrad in die Hand, das in die Rückseite der leeren Augenhöhle zu passen schien. Ein zweites Rad fügte sich schräg vom ersten ein. Ich drückte das Glasauge an seinen Platz. Ein Metallring war ursprünglich dazu gedacht, sich in die Vorderseite der Höhle zu schrauben, um das Auge dort zu halten, aber dieser Ring war irreparabel verbogen.
»Nimm die Hand ein wenig zur Seite!« Lena berührte die Augenhöhle, und das Holz schwoll leicht an, gerade genug, um die Glaskugel daran zu hindern, frei herumzurollen. Sie drehte das Auge in die eine Richtung, dann in die andere. Hinter dem Glas konnte ich Zahnräder mahlen hören.
»Der Kopf dreht sich auf einer Primärachse hier von einer Seite auf die andere.« Ich tippte auf den Stab im Hals. »Dieser Stab führt durch ein Loch in den größeren hier, der ihm ermöglicht, noch oben und unten zu blicken, sodass er volle Bewegungsfreiheit hat.« Ich setzte ein kleines Zahnrad auf den ersten Stab und drückte es in den Hals hinunter. Die Ketten hatten sich ursprünglich über dem sekundären Stab aufgewickelt und mittels zweier Sternräder Bewegungen auf der vertikalen Achse ermöglicht.
Von dem Großteil des Mechanismus konnte ich mir jetzt ein Bild machen. Ein sekundäres Ketten-und-Zahnrad-System führte in den Mund. Ein am Ohr montierter Kupferkegel sorgte fürs Hören. Aber es gab eine Hand voll größerer Zahnräder und Scheiben, die keine offensichtliche Funktion hatten. Sie schienen in die Mitte des Kopfes zu passen, aber sie waren mit nichts verbunden, noch sorgten sie irgendwie für zusätzliche Beweglichkeit.
Ich rieb die Scheiben an meinem Hemd sauber. Entlang der Ränder waren Buchstaben eingraviert: J-O auf einer, S-T auf einer anderen, schön graviert in sorgfältiger, fließender Kalligrafie. Das J war sogar verziert, wie bei den Initialen einer illuminierten Handschrift, ausgeführt in Messing. »Das ist ein weiterer Zauberspruch.«
»Vielleicht ist das das Gehirn des Automaten!«
»Das kommt darauf an, wann er hergestellt wurde. Im frühen sechzehnten Jahrhundert verstanden die Menschen das Gehirn noch nicht. Viele Wissenschaftler, darunter auch da Vinci, hielten das Gehirn für den Sitz der Seele.« Falls Gutenberg sich diesem Glauben angeschlossen hatte, so wäre dies nicht notwendigerweise die Quelle der künstlichen Gedanken
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