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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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in einen ledernen Beutel, den er unter dem Hemd trug. Die alte Frau ging recht sparsam mit ihrer Gunst um. Aber möglicherweise würde er den Brief eines Tages brauchen können.

Z u der Zeit, als Roger im Schuppen eingeschlafen war, hatte der Kardinal von Trient einige Löffel voll Blanc menager – Hühnerfleisch, das zusammen mit Milch und Mandeln gekocht worden und Teil des ›weißen‹ Speisegangs war – auf ein Brotstück gehäuft. Während er langsam davon aß und den Geschmack des Gerichts genoss, das, wie er fand, vorzüglich zubereitet war, schaute er durch den großen Saal. An diesem Abend hatten sich weitaus weniger Leute als am vorigen zum Mahl versammelt – nur die Vornehmen aus dem Haushalt Heinrich von Müllenarks und einige Adelige aus dem Umland von Köln, Gäste des Erzbischofs – und auch die Anzahl der Gerichte war geringer. Trotzdem hatten die Speisen eine erlesene Qualität.
    Enzios Blick blieb an einer Gruppe von Musikanten hängen, vier Männern und zwei Frauen, die sich am anderen Ende des Saals aufgestellt hatten. Sie trugen bunte, leuchtende Gewänder und ihre weiß grundierten und grell geschminkten Gesichter wirkten wie Masken in dem unsteten Licht der Fackeln und Kerzen. Die beiden Frauen sangen, die eine mit einer hellen, die andere mit einer eher dunklen Stimme. Ihre Körper bewegten sich leicht im Takt der Musik. Über den Lärm, der im Saal herrschte, konnte er Worte des Liedes verstehen: »Unter der Linden / an der Heide, / da unser zweier Bette war, / da mögt ihr finden / schöne beide / gebrochen Blumen und Gras.«
    Während er nach seinem Weinkelch griff und daraus trank, lauschte er weiter den Worten der Sängerinnen. Vor dem Essen hatte er wieder die blonde, üppige Magd des Erzbischofs in seinem Bett gehabt. Heute war sie von Anfang an willfährig gewesen. Wieder hatte sie seinen Lenden große Befriedigung verschafft.
    Enzio wandte sich an Heinrich von Müllenark, der schweigsam und sich gekehrt neben ihm saß und sich ebenfalls große Bissen von dem Blanc menager einverleibte, ohne dass er recht zu bemerken schien, was er aß.
    »Ein schönes Lied«, sagte der Kardinal und wies mit dem Kopf in Richtung der Musikanten. »Stammt der Text von Eurem deutschen Dichter namens Walther?«
    Der Erzbischof schreckte auf, wobei etwas von dem Huhn und dem Reis auf das leinene Tischtuch fiel. »Was habt Ihr gesagt? O ja, ich glaube schon … Ein Lied von Walther …«
    »Wehe, wohin sind meine Jahre entschwunden? Habe ich mein Leben geträumet oder ist es wirklich?« , zitierte Enzio versonnen. »Wirklich ein ganz ausgezeichneter Poet …« Er musterte Heinrich von Müllenark, der zu essen aufgehört hatte und geistesabwesend vor sich hin sah.
    »Bedrückt Euch etwas?«, fragte er sanft.
    »Nun ja, es beruhigt mich, dass die Beginen gut untergebracht sind«, entgegnete der Erzbischof zögernd. »Was für eine hässliche Angelegenheit … Eine Anklage wegen Zauberei und Ketzerei. Und der Streit in der Stadt darüber …«
    »Ich werde morgen mit der Befragung der Frauen beginnen. Ihr wollt sicher dabei sein?«
    »Oh, ja, gewiss …« Heinrich von Müllenarks fleischige Finger strichen über das Tischtuch, als müsste er eine Falte glätten.
    »Diese Stadt hat wirklich eine bemerkenswerte Bürgerschaft«, bemerkte Enzio von Trient leichthin. »Es dürfte nicht leicht sein, sie zu regieren …«
    »Das ist wohl wahr«, versetzte der Erzbischof bitter und seine Miene nahm einen etwas weinerlichen Ausdruck an. »Weder mit Güte noch mit Strenge ist diesen Leuten beizukommen. Patrizier haben mich gemeinsam mit dem Domkapitel bei unserem Allerheiligsten Vater wegen Unzucht und Verschwendung verleumdet …« Er seufzte tief. »Was auch immer die Befragung der Frauen ergibt – ob sie nun der Ketzerei und der Zauberei schuldig sind oder nicht, wobei ich eher der Ansicht zuneige, dass sie unschuldig sind –, eine Partei in der Stadt wird mir auf jeden Fall zürnen. Und auch das Domkapitel wird es gegen mich verwenden.«
    Erheitert erinnerte sich der Kardinal an einige Gespräche, die er mit Prälaten des Domkapitels geführt hatte. Wenig bedeutenden Männern, die untereinander uneins waren und die sich nur zu dem Zweck, dem Erzbischof zu schaden, zusammengerauft hatten. Jeder von ihnen hoffte, falls es zu einer Amtsenthebung Heinrich von Müllenarks kommen sollte, sein Nachfolger zu werden. Nein, in einer so gefährlichen Sache, wie es der Vorwurf der Ketzerei war, würde keiner dieser

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