Die Buchmalerin
Made, dachte Enzio. Sie ekelte ihn an. »Mach weiter«, befahl er dem Soldaten.
Zu seiner Überraschung öffnete sie plötzlich die Augen und bewegte den Kopf, sodass sie ihn anschauen konnte. »Es geht Euch nicht um die Frau … Es geht Euch um etwas anderes …« Ihre Stimme klang rau vor Schmerzen, hatte aber einen beinahe höhnischen Klang.
Der Kardinal zog die Augenbrauen hoch und lächelte sie an. Als er die massive Holztür hinter sich zugezogen hatte und auf den Gang hinaustrat, hörte er sie wieder schreien. Sie war hässlich, aber zäh. Er hoffte, dass die anderen Frauen nicht ebenso viel Schwierigkeiten machten.
Dies war nicht der Fall. Eine der Beginen zwar, eine starkknochige Frau, die ein grobes Gesicht hatte, antwortete auf seine Fragen überhaupt nicht und Enzio war sich nicht sicher, ob sie dies tat, weil sie starrsinnig war oder zu blöde, um den Sinn seiner Fragen zu verstehen. Die anderen waren jedoch zu verängstigt, um sich zu widersetzen. Eine von ihnen mit Namen Hildegund konnte ihm nichts darüber sagen, wohin die Frau verschwunden war, die sich Donata nannte. Aber sie erinnerte sich genau, dass sich die fremde Frau in der Küche aufgehalten hatte, als der Begarde dort gewesen war und von seiner Wanderung erzählt hatte. Außerdem teilte ihm Hildegund mit, Donata sei übel geworden, als sie ein Huhn mit Essig abgerieben habe.
Wieder andere Beginen berichteten von einer Abendmahlzeit, bei der sich die fremde Frau geweigert habe, Fleisch von eben diesem Geflügel zu essen. Enzio fragte sich überrascht, ob die Frau, die er als Ketzerin suchen ließ, möglicherweise tatsächlich eine Albigenserin war. Immerhin wusste er nun etwas Wichtiges über sie, abgesehen davon, dass sie schreiben konnte. Und falls sie dem Irrglauben anhing … Nun, er musste herausfinden, ob und wo sie damit zuvor aufgefallen war.
Schließlich sprach er in einem der Kellerräume mit einer jungen Begine, die ein hübsches, herzförmiges Gesicht hatte und Agnes hieß. Er redete ihr geduldig zu, sagte, dass es ihre Pflicht sei, eine mögliche Ketzerin der Inquisition zu melden – um ihres eigenen Seelenheiles willen, aber auch um die Sünderin zu retten.
Die braunen Augen der jungen Begine weiteten sich. Ihr Gesicht spiegelte Ernst und Eifer. Sie erzählte, dass am Tag, ehe Donata die Beginen verlassen habe, eine Benediktinerin zum Haus in der Stolkgasse gekommen sei. Diese Nonne habe Luitgard einen gesiegelten Brief ihrer Äbtissin überbracht.
*
In ihrem Gemach starrte die Äbtissin des Klosters Maria im Kapitol geistesabwesend auf die Abschrift des Scivias nieder, die auf einem Stehpult vor ihr lag. Die aufgeschlagene Buchseite zeigte schwarze Sterne, die vom Himmel in den Abgrund stürzten. Die Apokalypse, das Ende der Welt … Seit dem Gespräch, das sie während der vergangenen Nacht mit dem Kundschafter Friedrichs geführt hatte, empfand sie eine quälende Unruhe. Was sollte sie mit dem Wissen beginnen, das ihr dieser merkwürdige Mann anvertraut hatte? Ein Mann wie ein Vexierspiel, der immer eine neue Seite seines Wesens zeigte, ohne dass deutlich wurde, wer er wirklich war. Kein glücklicher Mann, aber nicht langweilig … Wenn es stimmte, was er berichtet hatte – und eigentlich zweifelte sie nicht daran –, dann hatte der Kardinal von Trient Gisbert, den Inquisitor, eigenhändig umgebracht. Und nun ließ er die Beginen dafür büßen, dass sie einer Zeugin des Mordes Unterschlupf gewährt hatten …
Was konnte sie nur tun, um den Frauen beizustehen? Sollte sie den Kardinal aufsuchen und ihn des Mordes beschuldigen? Oder würde sie den Beginen damit nicht erst recht schaden? Enzio war skrupellos und ein Mann, der ein hohes Spiel wagte. Auf ein paar Menschenleben mehr oder weniger kam es ihm nicht an.
Die Äbtissin war noch immer zu keinem Entschluss gelangt, als sie plötzlich laute Männerstimmen hörte. Im ersten Augenblick dachte sie, dass diese von der Gasse her in ihr Gemach drangen. Doch dann begriff sie, dass die Stimmen aus der Halle des Klosters ertönten. Was hatte das zu bedeuten? Hastig raffte sie ihr dunkles Gewand zusammen und eilte aus dem Raum. Sie hatte kaum den Arkadengang betreten, als ihr eine Schar Schwestern von der Treppe her entgegeneilte. Darunter auch Gunhild, die blasse Schreiberin.
»Mutter Äbtissin, der Legat des Papstes, außerdem Erzbischof von Müllenark und Soldaten sind in das Kloster eingedrungen und haben den Kapitelsaal aufgesucht. Sie verlangen, Euch zu
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