Die Bucht der schwarzen Perlen
war nicht aufzuhalten.
Langsam schlich sich Ron davon, ging dann wieder durch das leere Dorf und am Strand entlang zu seiner Hütte, holte den von Pater Richards selbstgebastelten Hocker aus dem Raum und setzte sich vor sein Haus.
Erschrocken zuckte er zusammen, als hinter ihm ein Rascheln ertönte. Er fuhr herum und sah Tama'Olu an der Hüttenwand auf der Erde hocken. Wieder trug sie die zwei schwarzen Ketten aus schwarzen Plastikperlen. Wunderbar sah sie aus mit ihrer mattglänzenden braunen Haut, den langen schwarzen Haaren und den großen, ebenso schwarzen Augen. Ihr roter, kurzer Wickelrock bedeckte gerade ihre Hüften und die Hälfte ihrer schlanken Schenkel. Sie lächelte, als sie die Bewunderung in Rons Blick las.
»Wie lange sitzt du schon da?« fragte er. »Ich habe dich nicht kommen hören. Warum tanzt du nicht mit den anderen? Was feiert ihr eigentlich? Ihr habt so eine Art Medizinmann, nicht wahr? Erzählt er euch, daß ich ein böser weißer Teufel bin? Wenn du mich bloß verstehen könntest, Mädchen! Du bist wunderschön, genau das, was man einen Südseetraum nennt, etwas, was es eigentlich gar nicht gibt. Ich habe rund um die Welt viele Frauen gesehen … du bist mit Abstand die hübscheste. Und das auf einer einsamen Insel, die kein Mensch kennt!
Was aber wird mal aus dir werden? Du wirst nie die Insel verlassen, du wirst einen der jungen Burschen hier heiraten, Kinder kriegen, eins nach dem anderen, und deine Schönheit wird verblühen und verwelken, von Jahr zu Jahr rascher. Immer schneller, je älter du wirst. Und wenn du vierzig bist, wirst du aussehen wie siebzig, faltig und mit hängenden Brüsten und ausgemergeltem Leib …
Tama'Olu, das Leben ist grausam, aber darüber wirst du dir nie Gedanken machen. Du kennst nur deine kleine Welt, die Insel hier, und sie genügt dir. Eigentlich bist du ein glücklicher Mensch – stellst keine Ansprüche und bist mit allem zufrieden, was das Leben hier bietet.«
Er beugte sich zu ihr vor und streckte die Hand aus. Aus dem Palmenwald dröhnten die Baumtrommeln und wehten die Stimmen der Sänger bis zu ihnen. »So viel habe ich lange nicht geredet … und du verstehst kein Wort. Du lächelst mich an, voll Vertrauen darauf, daß alles, was ich dir sage, gut ist. Aber es ist nicht gut. Ich will weg von hier!«
Er beugte sich vor und griff nach ihren schwarzen Ketten. Langsam ließ er sie durch seine Finger gleiten. Dabei berührte er Tamas Brust, aber während er zurückzuckte, rührte sie sich nicht, nur ihre Augen schienen heller zu glänzen.
Einen Moment lang war er verblüfft, nicht über ihren Blick, sondern über das, was er zwischen seinen Fingern spürte. Die schwarzen Perlen fühlten sich nicht wie Plastik an, sie waren nicht leicht und hohl, sondern massiv und hatten ein gewisses Gewicht. Schwarzes Kunstharz oder gefärbtes Perlmutt, dachte er. Bei uns daheim würde man das als anspruchsvollen Modeschmuck bezeichnen, dachte er. Ein ganz großer Gauner scheint Descartes also nicht zu sein; er liefert immerhin gehobenen Kitsch.
Aber je länger er die Perlen durch seine Finger gleiten ließ, um so merkwürdiger kamen sie ihm vor. Er beugte sich zu Tama'Olu hinunter, zog die längste der Ketten über ihren Kopf und betrachtete sie genauer. Es waren wundervolle, mattschwarz schimmernde Perlen mit einem Hauch von Silbergrau im Lüster, in der Rundung nicht immer gleichmäßig, ganz so, als seien sie wirklich im Inneren einer Muschel gewachsen. Eine raffinierte, vollkommene Nachbildung. Wirklich eine Nachbildung?
Ron betrachtete wieder Perle um Perle, zog dann die zweite Kette über Tama'Olus Kopf und sah, daß auch diese Perlen von einer vollendeten Schönheit waren. Er hielt sie gegen die Sonne, der Glanz verstärkte sich, und das wundervolle wie mit Silber durchsetzte Schwarz des Lüsters begann zu leuchten.
Das gibt es nicht, dachte Ron und spürte plötzlich, wie ihm die Kehle eng wurde.
Das ist unmöglich! Das können keine echten Perlen sein! Mein Gott, wenn sie echt wären, dann trügen diese Frauen hier Hunderttausende von Dollars um den Hals. Und sie wissen es nicht, keiner weiß es, auch Descartes nicht, denn der hätte sie ihnen längst abgehandelt.
Echte schwarze Perlen, hier an der Küste irgendwo aus dem Meer geholt … Nein, nein, das gibt es nicht!
Ron erinnerte sich an Tahiti. Dort war der Weltmarkt für schwarze Perlen. Ebenso für silberfarbene, graue und rosa Perlen, gezüchtet auf weiten Muschelbänken nach den Methoden
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