Die Bucht der schwarzen Perlen
liebte ihn mit aller Glut, die in ihr war.
Aber sie weinte dabei …
Das Boot war vollgepackt mit Fleisch, getrockneten Fischen, Kartoffeln, Brotfladen, Obst, Fruchtsäften und Wasser in ausgehöhlten Kürbissen. Der Holzmast war stabil verklotzt, das Baumharz hatte die Gummihaut unverwundbar gemacht. Nun schaukelte das Boot in der schwachen Dünung der Lagune. Das große Abenteuer – oder sollte man es Wahnsinn nennen? – konnte beginnen.
Es war früher Morgen, als Ron hinunter zum Strand ging – allein. Tama'Olu lag zusammengerollt wie ein kleines Kind im Bett und rührte sich nicht, als Ron zu ihr sagte: »Ich fahre jetzt. Komm mit zum Boot, Liebling. Bitte.«
Er sagte es viermal, bettelte und küßte sie dabei, aber sie rührte sich nicht. Sie lag da wie tot, ohne eine Regung, ohne Tränen, ohne die Augen zu öffnen.
Es fiel ihm unendlich schwer, sich von ihr loszureißen, die Hütte zu verlassen und hinunter zum Strand zu laufen. Aber auch hier war niemand, nicht Tápana, nicht Tamas Mutter, nicht die drei Brüder oder die schwangere Schwester. Das Dorf lag still und einsam da, nicht ein Mensch zeigte sich vor den Häusern. Nur die hellbraunen Hunde mit ihrem kurzen, glatten Fell und den Peitschenschwänzen streunten herum und beäugten mißtrauisch den einsamen Mann.
Ron blickte sich noch einmal um. Nein, Tama'Olu stand nicht an der Hüttentür, sie blickte ihm nicht nach, sie winkte nicht … es gab ihn nicht mehr. Ein Toter trieb hinaus auf das Meer.
Einen Augenblick war es Ron, als sei er am Boden festgewurzelt, als könne er keinen Schritt mehr tun. Hierbleiben, dachte er. Du solltest hierbleiben! Nein, du fährst nicht ins Ungewisse, du pfeifst auf die Millionen. Brauchst du sie denn wirklich? Tama'Olu, ich bleibe! Ich bleibe bei dir! Ich werde das Boot zerhacken, verbrennen, ins Meer werfen.
Und eine andere Stimme sagte: Du Feigling! Du kommst doch mit Sicherheit wieder. Und dann kannst du Tama'Olu den Himmel zu Füßen legen. Du wirst das Glück festhalten, du wirst Kinder mit ihr haben. Du bist dann wirklich der glücklichste Mensch auf dieser Welt. Fahr los, Junge, hol dir das Glück!
Ron zwang sich, weiterzugehen. Ohne sich umzublicken, watete er in das seichte Wasser der Lagune, kletterte in das Schlauchboot und zog das kleine Segel zum Holzmast empor. Der Wind verfing sich darin, und langsam glitt das Boot über das grünschillernde Wasser dem Durchlaß im Korallenriff entgegen.
Als er das offene Meer erreicht hatte, zucke Ron zusammen: Von der Insel ertönte das dumpfe Hämmern der Baumtrommeln. Zwischen den Palmen erschien der Medizinmann in vollem Federschmuck und hob beide Arme hoch in den Himmel.
Götter, beschützt ihn, seid gnädig mit Ovaku. Er weiß nicht, was er tut. Er ist ein armer Mensch … Gott der Winde, jage ihn nicht zu wild über das Meer.
Ron schloß die Augen, atmete tief durch und drehte dann sein Segel voll in den Wind. Das Boot hob sich vorn aus dem Wasser und schoß davon, über die Wellen hinweg, die ihr grausames Spiel mit ihm begannen.
Hinter der Tür der Hütte stand Tama'Olu und sah durch einen Spalt dem davontanzenden Boot nach. Sie weinte wieder und drückte die Bibel, die Pater Richards zurückgelassen hatte, an ihre Brust. Sie wußte nicht, was in dem Buch stand, sie konnte es nicht lesen, aber sie wußte, daß es etwas Besonderes war, daß die drei alten getauften Männer davor niederknieten, als sei es ein Gott. Der Gott von Ron, der Gott von Ovaku.
Als der dumpfe Klang der Trommeln über die Insel wehte, nahm sie das Buch und küßte es. Doch dann schleuderte sie es gegen die Wand, riß die Tür auf und rannte hinunter zum Strand.
»Ovaku!« schrie sie gellend. »Ovaku! Nimm mich mit! Nimm mich mit! Ich liebe dich … Wie soll ich ohne dich leben? Ovaku, nimm mich doch mit!«
Aber Ron hörte und sah sie nicht mehr. Er ritt auf den Wellen dahin, nach Westen. Der Hoffnung entgegen, daß man ihn irgendwann finden würde.
6.
Vier Tage und Nächte trieb er auf dem Ozean. Die Götter des Meeres und der Winde meinten es gut mit ihm, der Stille Ozean machte seinem Namen alle Ehre. Auf der fast glatten Wasseroberfläche trieb ein leichter Wind das Schlauchboot vor sich her, und nur der übliche kurze und warme Regen, der täglich niederging, unterbrach diese schläfrige Eintönigkeit.
Ron nahm das als ein gutes Zeichen. Er hoffte, bald auf die Route der großen Handelsschiffe zu treffen oder eine Insel zu finden, die schon von der Zivilisation
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