Die Bucht des grünen Mondes
die Brauen. Rendapu und Yami – die waren darauf gekommen, dessen war sie sich jetzt sicher.
«Was war ich denn, bevor … nun, bevor ich eine Frau wurde?», fragte sie verdrossen. «Ein Kind?»
«Aber ja, das haben viele geglaubt. Einige tun es immer noch. Du benimmst dich eben merkwürdig und fürchtest dich vor den einfachsten Dingen. Und du bist sehr dünn.»
Nun,
das
stimmte. Während der Reise hatte sie wenig gegessen, und auch hier knurrte oft ihr Magen, weil ihr manche Speisen nicht geheuer waren. Und sie musste bedenken, dass die Yayasacu noch niemals eine fremde Frau gesehen hatten. Trotzdem! Diese Leute waren doch viel mehr wie Kinder, mit ihrem albernen Gekicher und ständigen Aufbrausen.
«Und du hast noch nicht geblutet.»
Nur langsam dämmerte ihr, was er meinte. Sie war froh gewesen, seit ihrer Entführung von ihrer monatlichen Unpässlichkeit verschont geblieben zu sein. Woran auch immer es lag, an der Entbehrung vielleicht. «Also hältst du mich auch für ein Kind?»
«Nein. Das tat ich von Anfang an nicht.»
Sie schlug die Augen nieder, ohne zu wissen, wovor eigentlich. «Wie ist es denn bei Jungen?», fragte sie, nur um rasch das Thema zu wechseln. «Musstest du auch deine Hand in den Beutel stecken, um ein Mann zu werden?»
«Nun, Männer müssen das Dorf schützen, Nahrung bringen, Streit schlichten …»
«Streit schlichten?», stichelte sie. «So etwas könnt ihr?»
«Und sie müssen verstehen, wie man mit den Geistern umgeht. Darum ist die Prüfung auch viel schwerer. Ich musste meine Hand einen ganzen Tag im Beutel lassen. Ohne den geringsten Klagelaut.»
«Einen ganzen Tag!»
«Und ich wurde beschnitten.»
War er etwa entmannt? Offenbar stand ihr diese Frage ins Gesicht geschrieben, denn er begann an seinen Hüftschnüren zu nesteln. Aufschreiend rannte sie aus der Hütte, schnappte sich ihren Webrahmen, der vergessen am Eingang lag, und flüchtete in den Kreis der Frauen, die sie lachend empfingen, als hätten sie gesehen, was Ruben tat.
Den Kindern steckten die Frauen gerne Leckerbissen zu. So auch ihr. Vielleicht waren sie sich immer noch nicht schlüssig, ob sie als erwachsen galt. War es eine Frucht, bedankte sie sich erfreut; war es ein Insekt, legte sie es in ein Schälchen, als wolle sie es später essen. Irgendein Kind bediente sich dann schon daraus. Ständig kam ein kleiner Racker, zeigte ihr etwas und plapperte das indianische Wort vor. Und lachte aus vollem Halse über ihre Bemühungen.
Auch die Älteren lehrten sie. Und benahmen sich dabei kaum anders.
«Aqo», Yami zupfte an ihrem ausladenden Bastrock, der für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich lang war: Er reichte ihr bis zu den Knien. Dann klopfte sie auf Amelys Webrahmen, dass der ihr beinahe aus den Händen glitt. «Aqo, Aqo!»
«Rock? Kleidung? Aqo», sagte Amely.
«Hye?!» Yamis Lachen war eher ein Dröhnen. Sie schlug sich auf die Schenkel, schaukelte vor und zurück und verspritzte schwarzen Speichel.
Still seufzte Amely. An Gefühlsausbrüche dieser Art würde sie sich wohl nie gewöhnen. Aber sie war entschlossen, sich wenigstens einen Grundstock der Sprache anzueignen. Viel anderes, als über ihre merkwürdige Lage nachzugrübeln, hatte sie ohnehin nicht zu tun. Arbeit gab es zwar genug, doch man traute ihr anscheinend nicht zu, Eidechsen zu häuten oder Gürteltierpanzer sauberzuschaben. Womit sie ja auch recht hatten.
Sie betrachtete ihre Webarbeit. Wahrscheinlich war dieses Kleid erst fertig, wenn sie von hier fortging. Wie und wann das auch sein würde. Für eine solch krumme Arbeit hätte sie früher im Handarbeitsunterricht den Rohrstock auf die Finger bekommen. Geige spielen, Klavier, Blockflöte, mit zierlicher Handschrift Briefe schreiben, Taschentücher besticken, Tischmanieren, Goethe, Schiller, eben alles, was eine Frau lernte, um den Gatten in seiner Freizeit zu erbauen, zählte hier nicht. Sie stellte sich vor, wie es wäre, müsse sie ewig hierbleiben – und einen Indianer, Gott bewahre, heiraten. Sie lachte so laut wie lange nicht mehr. Wie noch nie. Es war eben auch ansteckend, das Gegacker Yamis, die freudig einstimmte.
«Das ist alles so absurd», japste Amely. Mit dem Ärmel des Nachthemdes, das mittlerweile kaum noch erahnen ließ, dass es einmal ein ordentliches und teures Kleidungsstück gewesen war, wischte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln. «Als mir meine Mutter früher Anstandsblätter zum Lesen gegeben hat, da hat sie nicht ahnen können, dass
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