Die Bucht des grünen Mondes
gleich Ruben um die Ecke kommt und mir einen Becher Blut zu trinken oder eine Spinne zu essen gibt. Ganz bestimmt! Aymáho», fügte sie lachend an, da Yamis Blick eine einzige Frage war. «Aymáho macht dumme Sachen. Aymáho –
macht – dumme – Sachen
.»
«Aymáho», Yami nickte. Sie umschloss ihre Faust mit der anderen Hand und machte ein paar stoßartige Bewegungen. Dabei rollte sie mit den Augen. «Aymáho hayihe.»
«Ja?», fragte Amely. Die Sprache der Yayasacu war ganz anders aufgebaut, das hatte sie schon begriffen. Eine Betonung, eine Geste konnten wichtiger als das Wort sein, und das Wort für
Baum
konnte auch
Wind in der Krone
bedeuten, das hatte ihr Ruben erklärt. Würde sie je fähig sein, sich mit diesen Leuten zu unterhalten? Auch Yamis Gestik wirkte alles andere als vertraut.
Der Leib der Häuptlingsfrau schwang vor; ihr Zeigefinger bohrte sich in Amelys Bauch. «Aymáho hayihe!»
«Es tut mir leid, Frau Yami, aber ich verstehe Sie nicht.»
Yami sah sich um, schien zu überlegen, was sich fände, um es ihr begreiflich zu machen. Da erhellte sich ihr Gesicht. Sie deutete zum Eingang des Frauenhauses. Ein junger Mann stand dort und reckte den Hals. Ein Schritt hinein war ihm verboten, das wusste Amely. Eines der frisch zur Frau ernannten Mädchen kam herausgerannt. Er schloss sie in die Arme und zog sie mit sich.
Yami wackelte mit den Brauen. Ihr Grinsen war anzüglich, ihr Wortschwall unverständlich. Schließlich wuchtete sie sich auf die Beine, stapfte ins Haus und kehrte mit einem Gegenstand zurück, den sie Amely in die Hand drückte.
Es war ein getrocknetes Exemplar jener Zunge, die Ruben ihr hatte geben wollen.
Bedeutete dies etwa …? Amely betrachtete das Ding in ihrer Hand. Nein, es erschien ihr albern. Man schenkte seiner Angebeteten nun einmal keine Zunge, selbst bei den Indios. Und überhaupt, Ruben konnte doch nicht allen Ernstes in sie verliebt sein? «Das ist schlicht und ergreifend undenkbar», sagte sie laut und in einem Tonfall, von dem sie hoffte, dass auch Yami ihn zu deuten wusste. «Undenkbar!»
Sie ließ die Zunge fallen, sprang auf und rannte auf einen der Pfade, die aus dem Dorf führten. Dieser endete bei einer Pflanzung der Yayasacu, einer ebenen, brandgerodeten Fläche, auf der sie Maniok, Bohnen, Mais und Süßkartoffeln anbauten. Das Feld war in scheinbarem Wirrwarr in kleine Parzellen unterteilt; zwischen Baumstämmen und kniehohen Lianenzäunen arbeiteten Männer. Frauen trugen die Ernte in Körben davon. Ruben hatte seine Haare im Nacken zusammengebunden, während er mit einer Steinaxt auf ein Gewächs einhieb, das sich seines Feldes bemächtigen wollte. Amely stieg über Stämme und Zäune, bis sie vor ihm stand.
Er richtete sich auf. Und sie wusste nicht, was sie hier wollte. Ihm sagen, dass er sie nicht lieben durfte, weil sie die Gattin seines Vaters war? Dass er sich das ganz schnell aus dem Kopf schlagen musste? So etwas sprach eine Frau nicht aus! Und überhaupt, ganz bestimmt hatte sie Yami falsch verstanden. Das Kauderwelsch hatte alles Mögliche bedeuten können.
«Was willst du?», fragte er durchaus nicht freundlich.
«Ich – will – dir helfen», stotterte sie und nahm eine vor ihren Füßen liegende Harke auf. An der Wurzel eines Manioks stieß sie die feuergehärteten Holzspitzen in die rissige Erde.
«Was machst du da?», schrie Ruben. Sie ließ die Harke fallen und sprang zurück. Hatte sie eine Schlange aufgeschreckt? Er war mit zwei langen Schritten bei ihr und schüttelte sie. «Du darfst die Harke nicht anfassen. Das ist Männerarbeit!»
Zum Donnerwetter! Hier war aber auch wirklich alles anders! Sein Griff war fest, sein Gesicht verzerrt vor Zorn. Sich die Schultern reibend, wich sie zurück. Als er auf sie zukam, wirbelte sie herum und rannte. Irgendwohin. In den Wald. Es war gefährlich, und es war ihr gleich. Sollte ihr ruhig etwas passieren – er würde schon sehen, was er davon hatte, ständig so unmanierlich herumzupoltern! Dieser ganze Stamm mit seinen Verrücktheiten konnte ihr gestohlen bleiben! Lianen schlugen ihr ins Gesicht; sie wischte sie beiseite. An den Füßen kitzelte und stach es; auch das störte sie nicht. Sie stapfte über gefallene Äste und Farne hinweg, durch hüfthohe Gräser und schlammige Pfützen.
«Amely!»
«Bleib mir bloß vom Leib, du Lump.»
«Amely, es ist gefährlich hier!»
«Ich wusste, dass du das sagen würdest», rief sie über die Schulter. «Geh doch dahin, wo der Pfeffer
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