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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Flehen an die Geister – und sie machten sich auf den Weg zur Schneise. Hell war es hier, nicht nur, weil die Himmelsanakonda ungehindert über der Baustelle leuchtete, sondern wegen der vielen kleinen Lampenlichter, welche die Ambue’y während des Schlafes brennen ließen, als fürchteten sie die Nacht.
    Die Gefangenen schliefen, wo sie geschuftet hatten. Dort herrschte Dunkelheit. Weshalb erhoben sie sich nicht, um, wenn schon nicht zu kämpfen, so doch zu flüchten? Hielt sie ein Zauber an diesem Ort fest?
    Ruben hielt inne, sah sich nach allen Seiten um. Wenn es einen solchen Zauber gab, konnte er auf ihn und die Yayasacu überspringen, sobald sie einen Fuß auf die kahle Wunde des Waldes setzten.
    «Was ist?», fragte Ku’asa mit hörbarer Ungeduld.
    Ruben zögerte. «Nichts», sagte er dann. «Kommt.»
    Geduckt eilten sie auf den Damm zu und kauerten sich in seinem Schutz nieder.
    «Kuñaqaray sai’ya hat die Wahrheit gesprochen, Aymáho», knurrte Pytumby. Wie alle anderen missachtete er Rubens wahren Namen. «Das Ungeheuer schläft nachts. Aber wird es nicht erwachen, wenn es uns wittert?»
    «Es wird nichts tun. Achtet nicht darauf.»
    «Konzentriert euch nur auf die Männer», bekräftigte Tiacca. Ihre Augen funkelten im Schein der Lampen. Die Lust zum Kämpfen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Mehr noch: der Triumph, dass Amely fort und sie noch hier war. Und schon war sie über den Damm hinweg. Als schwarzer Schatten, bedrohlich wie der Chullachaqui selbst, eilte sie mit erhobenem Blasrohr auf das Nachtlager der Gefangenen zu.
    Ruben setzte ihr nach. Die anderen sicherten seinen Rücken. Rasch hatte er Tiacca eingeholt, die sich bereits wie ein jagender Puma niederkauerte, nur wenige Schritte von den Ava entfernt. Wie tot schliefen die Männer, erschöpft von der Schinderei. An Tiaccas Seite ging Ruben in die Hocke. Die Wahl, welchen sie als Ersten losschneiden wollten, musste bedacht sein; der Mann durfte nicht hochschrecken und sie unwillentlich verraten. Ruben kroch zu einem, der aufrecht an einen Baumstamm gelehnt schlief. Als er dessen Schulter berührte, ruckte der Gefangene hoch. Sein Blick, sofern in der Düsternis erkennbar, wirkte verständig. Ruben griff nach der Fessel um seine Füße, um sie hochzuheben und ihm zu verstehen zu geben, dass er sie losschneiden wolle.
    Seine Finger umfassten jedoch kein Seil, sondern hartes Metall.
    Lautlos legte er die eiserne Kette zurück auf den Boden und tastete nach dem Fuß eines Schlafenden. Unter den Fingern erspürte er ein wulstiges Brandzeichen. Offenbar waren sämtliche Ava an dieser Kette festgemacht, und sie war um den Stamm geschlungen.
    Tiacca ging neben ihm in die Knie. «Was ist?», zischte sie.
    «Ich muss nachdenken.»
    Es fiel ihm schwer. Solche Eisenketten waren in seiner Geist-Erinnerung sehr undeutlich. Aber er wusste, dass es etwas gab, womit man Dinge verschloss und öffnete. Er rang um das Wort. «Schlüssel?» Nein, nicht das deutsche Wort … Doch der Ava begriff; er deutete auf ein kleines Zelt in der Nähe. Ruben gab Tiacca ein Zeichen, dass sie warten solle, und schlich geduckt hinter das Zelt, wo kein Lichtschein heranreichte. Flach legte er sich auf den Boden, hob die Plane um eine Handbreit an, und als er sich sicher fühlte, rollte er sich darunter ins Zelt. Einen Herzschlag später war er wieder auf den Beinen, das Messer an der Kehle eines schnarchenden Ambue’y.
    Er wünschte sich, jener, der Amely in Empfang genommen und mit ihr auf einem Karren in Richtung des Flusses gefahren war, läge vor ihm. Dann würde er jetzt nicht zögern, ihn zu töten.
    Amely … jeder ihrer Schritte von ihm fort hatte sein Herz erschüttert. Und seinen Stolz auf sie vergrößert. Mutig wie Yacurona hatte sie sich dem
Anderen
gestellt. Schön wie Yacurona, mit ihrem dunklen, rötlich schimmernden Haar, das ihr offen und viel länger als das der anderen Frauen um die Schultern fiel und wie üblich mit verfangenen Blättern und Insekten darin, da es nicht so glatt wie das der Ava-Frauen war.
    Und Ruben war trotz des pochenden Geistes an seiner Hüfte den halben Tag durch den Wald gestolpert, weil er nicht wusste, wohin mit seinem drängenden Wunsch, gegen die Eindringlinge zu kämpfen.
    Die Klingenspitze drückte in die Haut. Einige lange Herzschläge vergingen. Dann zwang er seine Hand vom Hals des Mannes fort und sah sich um. Eine vom Zeltdach hängende, stinkende Lampe – ein seltsames Wort huschte durch seinen Kopf:

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