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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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entfernte. Über ihm flatterte Madalena. «Als ob es auf zwei Tage ankäme. Wenn dir das Warten zu lang wird, schnitze mir doch ein hübsches Tier in den Hocker, den ich mir neulich gefertigt habe. Kannst du das? Indianer jedenfalls können es gut. Aber Tiere, keine scheußlichen Götzen, hörst du?»
    Ruben hockte sich nieder, einen kleinen, aus duftendem Kapokholz gezimmerten Würfel zwischen den Knien, und versuchte aus der Maserung zu schließen, welchen Tiergeist er in das Holz bannen sollte. Oder geschähe dies gar nicht, und der Geist des Papageis, den er zu schnitzen begann, scherte sich nicht um sein Tun? Er beobachtete Madalenas Possenspiel. José schimpfte und redete mit ihr wie mit einem Menschen, und sie antwortete wie ein Mensch. Dass Aras ein paar Wörter nachplappern konnten, wusste er aus seiner Kindheit; nicht etwa, weil bei den Yayasacu je einer auf den absonderlichen Gedanken gekommen wäre, ihnen das Sprechen beizubringen.
    Falls Ruben einen Geist in sein Schnitzwerk rief, so war es nicht der Madalenas. In der Welt der
Anderen
glaubte man solche Dinge nicht. In
seiner
Welt. Er war kein Yayasacu, und er würde sie auch nicht wiederfinden. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wohin sie nach so langer Zeit gezogen sein mochten. Zurück in ihr altes Gebiet? Oder suchten sie immer noch die gute schwarze Erde, die in der Sprache der Ambue’y
terra preta
hieß? Mit dem gesunden Ohr lauschte er Padre José. Mit sich selbst – oder mit Madalena und auch Teresa, da sie ohnehin nichts begriff – redete der Mann in seiner Muttersprache. Und Ruben verstand mehr und mehr des portugiesischen Geplauders.
Weil ich es als Kind schon konnte. Weil ich ein Anderer bin. Ich will es nicht sein. Aber die Götter haben mich meinem Stamm entrissen. Oder der eine Gott, zu dem ich als Kind betete
.
    «Padre José?»
    «Ja, mein Sohn?»
    Dass José ihn so nannte, wusste er sich nicht zu erklären. Der Alte war eben nicht mehr richtig im Kopf.
    «Wie heißt das Gebet, das Kinder abends am Bett aufsagen?»
    Padre José richtete sich auf und drückte eine Hand in den Rücken. «Das Gebet?» Mit dem Ärmel seines verwaschenen Gewandes wischte er sich den Schweiß von der frischgeschorenen Stelle auf seinem Kopf. «Nun … das Paternoster meinst du wohl.»
    «Sprich es vor.»
    «Vater unser, der du bist …»
    «Nicht in der Sprache der Ava. Ich möchte es auf Portugiesisch hören.»
    «Pai nosso que estais no céu,
    santificado seja o vosso nome,
    venha a nós o vosso reino,
    seja feita a vossa vontade,
    assim na terra como no céu.
    O pão nosso de cada dia nos dai hoje;
    perdoai-nos as nossas ofensas,
    assim como nós perdoamos a quem nos tem ofendido,
    e não nos deixeis cair em tentação,
    mas livrai-nos do mal.
    Porque teu é o reino, e o poder, e a glória,
    para sempre.
    Amen!»
    Ja, er kannte es. Lautlos sagte er es sich noch einmal vor. Er meinte für einen flüchtigen Augenblick, die Stimme seiner brasilianischen Mutter zu hören. Und sah zugleich, wie sich seine
wahre
Mutter vor die Füße des Kaziken warf, um sein Leben zu retten.
    Meine wahre Mutter ist tot.
    «Und, mein Sohn, sagt dir dieses Gebet etwas?» Der Schatten Padre Josés fiel auf ihn. «Ach, wird das Madalena? Schön.»
    Ruben fuhr fort, das Holz zu bearbeiten. Er hatte sich immer gewundert, dass er im Gegensatz zu den Yayasacu selten weinte. Inzwischen wusste er, warum das so war: Einem preußischen Jungen trieb man es beizeiten aus. Auch jetzt wollte keine Träne kommen.
     
    Angepflockt an Händen und Füßen, lag Yami auf dem Boden. Es hatte geschüttet, und so drohte der Schlamm sie zu ersäufen. Ihr mächtiger Bauch ragte wie eine Insel daraus hervor. Sie reckte den Kopf, schnappte nach Luft. Einer der weißen Eindringlinge stand breitbeinig über ihr, mit geöffneter Hose. Er urinierte auf sie; endlos war der Strahl, und sie warf den Kopf hin und her, um dem drohenden Erstickungstod zu entgehen. Am Gürtel des Mannes baumelte ein Kopf – Oa’pojas blinde Augen waren weit aufgerissen. Der Ambue’y lachte dröhnend. In der Rechten hielt er eine Flinte. Er warf sie einem anderen Mann zu, der sie an Yamis Schläfe hielt. Der Schuss ging unter im Pfeifen der Lokomotive.
    Ruben kämpfte sich aus diesem grässlichen Traum. Doch die Dampfpfeife hörte er immer noch. Er schlug sich gegen das Ohr. Dann begriff er, dass es nicht sein Lärmgeist war, der ihn quälte. Das Geräusch war wirklich … Er öffnete die Augen, erwartete, die Lok aus dem

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