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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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auf den Boden. Ein noch volles Tintenfass zerschellte an der Wand. «Was ist bloß los in den letzten Tagen?», brüllte er. «Mein Sohn stirbt, die Regierung belästigt mich mit ihrem dummen Sklavenerlass, und jetzt ist mein einträglichster Wald vernichtet, einfach so! Das kann nicht sein. Das kann alles nicht sein!»
    Unruhig richtete Oliveira seine Krawatte. Felipe rührte sich nicht. Solche Ausbrüche waren ihm nicht neu.
    Mit solcher Fahrigkeit zerrte Wittstock ein Taschentuch aus seinem Jackett, dass es hätte reißen müssen. Er schneuzte sich. Und fasste sich.
    «Gut», knurrte er, die Fäuste auf den Tisch gestützt. Bereit zum Gegenschlag. «Da Silva, Sie sehen sich die Sache vor Ort an. Und Sie, Oliveira, besorgen Zahnschmuck für meine Frau!»
     
    Es war eine Reise in die Vergangenheit. Mit einem kleinen, unscheinbaren Dampfkutter fuhr er den Rio Negro hinauf. Allein. Er wollte mit sich und dem Urwald sein, um sich an dem Gedanken zu berauschen, wie viel besser er es inzwischen getroffen hatte. Die Pfahlhütten der Caboclos, die er passierte, waren ein Paradies im Vergleich zu dem Loch, das er seinerzeit bewohnt hatte. Aber jetzt erschienen sie selbst ihm erbärmlich. Ab und zu legte er an einer der schwimmenden Plattformen an und tauschte Werkzeuge, eigens mitgeführt zu diesem Zweck, gegen Früchte und eine Mahlzeit. Nach zwei Tagen hatte er den Kyhyje erreicht. Ein ungeübtes Auge hätte keinen Unterschied in der scheinbar ewig gleichen grünen Uferwand entdeckt. Aber gelegentlich sah er nun das typische Muster der Schnitte in den Rinden der Kautschukbäume mitsamt den Eimern darunter. Der Geruch verbrannten Holzes lag in der schweren Luft. Er lenkte sein Boot in einen Igarapé.
    Bald verengte sich der Wasserlauf. An einem überhängenden Ast band Felipe den Kutter fest, schulterte Winchester, Machete und Proviantbeutel und machte sich auf ins Unterholz. Wenn er Glück hatte, war Pedros Hütte noch nicht von Wurzeln, Lianen und Farnen verschluckt. Ob er den richtigen Wasserlauf erwischt hatte, ließ sich nach so langer Zeit jedoch nicht mit Gewissheit sagen.
    Doch nach nur zwanzig mühseligen Schritten tauchte der Bretterverschlag aus dem Grün auf. Drei Seringueros hatten zuletzt hier gehaust – einer allein wäre in dieser grünen Hölle vielleicht rasch des Todes gewesen. Die verfaulten Bretter stanken schlimmer als die Brandflur irgendwo dahinter. Mit der Machetenspitze schob Felipe einen verrotteten Bastvorhang beiseite. Drinnen ließ sich nur geduckt stehen. Sorgsam sah er sich nach Schlangen, Ameisen und anderem Getier um, das einem unbemerkt gefährlich werden konnte. Viel gab es nicht, wohinter sie sich hätten verbergen können: einen Stapel verbeulter Eimer, eine Machete, ein Rindenmesser, alles schartig und verrostet.
    In der Hängematte lag Pedro. Seine Augen waren geöffnet, schienen aber durch Felipe hindurchzublicken. Die Hände rieben seinen Schwanz. So war es oft bei Männern, die ohne Frau waren, nichts zu tun hatten und drauf und dran waren, ihren Verstand zu verlieren. Auf seiner vor Dreck und Moskitostichen strotzenden Haut krabbelten Schmeißfliegen. Von den anderen beiden Männern, deren Namen Felipe nicht mehr wusste, war nichts zu sehen.
    Vielleicht hatten sie es mittlerweile hinter sich.
    «Felipe!» Pedro versuchte sich aufzurichten. Schlaff sank er in sich zusammen. «Bist du es wirklich?»
    «Ich fürchte, ja.»
    «Hast du was zum Saufen?»
    Felipe ließ den Rucksack vom Rücken sinken und holte eine Flasche Gin heraus. Gierig riss Pedro sie ihm aus der Hand. In wenigen Sekunden hatte er sie zur Hälfte geleert.
    Ein menschlicher Haufen Elend mit heruntergelassener Hose
, dachte Felipe. Ob das auch aus ihm geworden wäre, hätte er seine Chance nicht genutzt? Wahrscheinlich.
    Oder er würde nicht mehr leben. Es war ohnehin ein Wunder, dass Pedro noch nicht von einem wilden Tier angefallen oder von einem giftigen Insekt gebissen worden war. Vielleicht ekelte sich sogar der Busch vor ihm.
    «Danke, Gott segne dich», seufzte Pedro, die Flasche an der Kehle. «Hast wohl doch nicht in der großen Stadt dein Glück gefunden, oder wieso bist du hier? Aber hier gibt’s jetzt fast nichts mehr zu holen. Ich wart nur noch drauf, dass mich der böse Vantu holt.»
    «Wie viel ist verbrannt? Hast du eine Ahnung?»
    Es war sinnlos, zu fragen, so wie es sinnlos gewesen war, diese Hütte aufzusuchen. Pedro wusste nichts, er hatte sich den Verstand so gut wie weggesoffen. Das Feuer

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