Die Bucht des grünen Mondes
konnten. Nun entfloh sie selbst den Häschern. Die letzten Töne verklangen, die Stille schien Minuten zu dauern. Plötzlich brach der Sturm der Begeisterung los. Rosen flogen auf die Bühne. Diamanten. Die Herren klatschten wie rasend und brüllten «da capo», die Damen rasselten mit ihren Colliers. Aus den Händen Philetus und Malva Ferreiras flogen Broschen und Armbänder.
«Hat es dir gefallen?» Kilian tätschelte ihre Hand.
Sie wusste, dass er nicht allein die Aufführung meinte. Ihrer beider Auftritt meinte er, angefangen bei der etwas ruckeligen Vorfahrt im Benz. Beide im verwegenen, viel zu warmen Automobilistenmantel und mit lederumfasster Schutzbrille auf der Stirn. Mit einem extravaganten Kleid hätte Amely Frau Ferreira niemals ausstechen können. So aber waren ihnen alle Blicke sicher gewesen.
«Ja», erwiderte sie tonlos.
Der Vorhang senkte sich, bemalt mit einer hellhäutigen Venus, welche den Amazonas verkörperte. Der Rio Negro und der Rio Solimões, jene Flüsse, die sich zum Amazonas vereinigten, waren als bärtige Wassermänner dargestellt. Sie buhlten um die Gunst der Venus. Das Bild war so kitschig wie alles im Teatro Amazonas. Der Zuschauerraum ahmte die Form einer Harfe nach. Die Wände gleißten in weißem Marmor und goldenem Zierrat. Zwischen den Logen erhoben sich Pfeiler in der Gestalt weiblicher Allegorien, und Engel und Putten schwebten an der Hallendecke. Ja, die Musik war wunderbar gewesen. Die Inszenierung ordentlich. Das Haus jedoch war schrecklich. Bunt, protzig, im Grunde nichts als eine überzuckerte Süßigkeit für die Sinne. Ganz nach dem Geschmack der Kautschukbarone.
«Lass uns gehen.»
«Wie du möchtest, Amely-Liebes.»
Er tat, als hätte es den Vorfall vor einigen Tagen nicht gegeben. Die Spuren der Verwüstung waren unter Schminke verborgen, und ein mit Diamanten besetzter Tüllschleier verbarg, wie dick die Schicht war. Amely raffte das dunkelblaue Seidenkleid mit eingearbeiteten Stoffkeilen an den Säumen und einer riesigen Schleife vor der Brust. Alles war mit Diamanten besetzt, dass sie glitzerte wie eine Sternennacht. Frau Ferreira, die aus der benachbarten Loge kam, wirkte dagegen wie der Mond selbst. Tatsächlich trug ihr Hut eine stoffumwickelte Mondsichel. Blinkende Diamantfäden schaukelten vor ihrem gutgelaunten Gesicht. Um die Schultern wand sich eine präparierte weiße Schlange mit gelber Zeichnung.
«Amely!», rief sie begeistert. «War es nicht fantastique? Hélas! Enzo, wie hab ich dich geliebt!»
Ihr Gatte kam wie gerufen an ihre Seite, obschon er dem stattlichen Enzo kein bisschen ähnelte.
«Ich hoffe, Senhora Wittstock, Sie haben sich ebenso sehr amüsiert wie wir», sagte er breit lächelnd.
«Danke, Senhor Governador. Es war wundervoll.»
«Wenn es auch nicht an Ihren und Ihres Gemahls spektakulären Auftritt auf dem Vorplatz heranreichte. Sagen Sie, Wittstock, ist es schwer, so eine Motorkutsche zu lenken? Und vor allem, sie zum Stehen zu bringen? So ganz ohne Zügel in der Hand?»
Kilian sonnte sich in der Bewunderung. «Ein bisschen Übung braucht es natürlich schon. Aber jeder kann das. Damen natürlich auch.»
Ferreira schielte zu seiner Frau. «Ich habe natürlich auch schon daran gedacht, uns so etwas im Deutschen Reich zu bestellen. Ihr Rat in dieser Angelegenheit wäre sehr willkommen.»
Amely entschuldigte sich und schritt die Treppe hinab. Wahrscheinlich würde Kilian dem Gouverneur ein Automobil schenken und dafür irgendeine Vergünstigung abseits des Gesetzes einheimsen. Vielleicht noch einen Aufschub, was die Freilassung seiner Sklaven betraf. Einige hatten bereits ihre Freiheitsurkunde erhalten und bekamen einen kleinen Lohn.
Aber von der
Lei Áurea
profitierten nur die schwarzen Sklaven. Was tief in den Urwäldern geschah, kümmerte niemanden.
Sie trat durch den rosafarbenen Portikus auf die Terrasse hinaus. Auf dem von Gaslampen erhellten Platz rund um die Oper standen dicht an dicht die Kutschen, eine glänzender als die andere. Geduldig hockten die Kutscher in ihren englischen Livrees auf den Böcken. Über der Stadt lag ein verheißungsvolles Summen: In den Straßen waren alle Menschen auf den Beinen. Herr Oliveira hatte ihr erzählt, was das einfache Volk tat, während die hohe Gesellschaft das neue Jahr im Tempel des Reichtums begrüßte: Man schrubbte seine abgetragenen Jutekleider, bis sie so hell wie möglich waren, denn Weiß war die Farbe dieser Nacht. Alles strömte zum Fluss. Die Boote der Fischer
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