Die Bucht des grünen Mondes
farbenprächtige Vögel.» Pinda, der Schamane, hob die Hände. Sein Gesicht war hinter der Holzmaske, die Guaraci darstellte, verborgen. Die Blicke der Zuhörer folgten seinen wedelnden Fingern. «Die Vögel trugen das Wasser hinauf zum Himmel. So entstand der Regen.»
Wie oft hatte Aymáho solche Geschichten schon gehört … Seinem Volk dabei zuzusehen, wie es beisammensaß und nichts ahnte von der Gefahr, die sich anderswo zusammenbraute, ließ seinen Brustkorb fast schmerzhaft zusammenziehen. Er hasste es, jetzt dazwischentreten und die Menschen aufscheuchen zu müssen. Sobald er das tat, würde eine neue Zeit anbrechen – eine so viel schwierigere, an deren Ende vielleicht die Vernichtung auch seines Stammes lag. Und so zögerte er es hinaus, zwischen den Hütten hindurchzutreten und sich zu zeigen.
Nur wenige hoben die Köpfe, als er zu ihnen trat, und wandten sich hastig wieder ab. Pinda stockte nur kurz in seiner Erzählung und fuhr dann fort. Allein Yami sah ihn unverwandt an, die Backen voller Kauchu. Doch auch die wuchtige, sonst so lebhafte Häuptlingsfrau begrüßte ihn nur mit abweisendem Starren.
Was, bei Tupans Weisheit …
Die Verbannung. Aymáho hatte ganz vergessen, dass er noch ein Geist war. Er betrachtete das Ästchen an seiner Hüfte. Etwas mehr als fünfzig Kerben. Er war ein paar Tage zu früh zurückgekehrt. Aber was hatte das jetzt noch für eine Bedeutung? Anschreien wollte er sie alle, dass sie so töricht waren, ihn zu missachten. Aber sie wussten ja nichts.
«Yami», sagte er leise.
Sie rührte sich nicht. Ihr Blick war auf Pinda geheftet. Jedoch zog sie ein Gesicht, als sei seine Erzählung plötzlich voll von bösen Geistern und Dämonen. Und sollte nicht wenigstens Tiacca aufspringen und Aymáho willkommen heißen? Trotz allem, was vor einem Monat geschehen war? Stattdessen hielt sie die Arme um die Knie geschlungen und schien nichts als das prasselnde Feuer wahrzunehmen. Eine große Jägerin? Pah! Das Herz eines Kükens hatte sie! Er stapfte fort vom Feuer, unterdrückte mühsam den Wunsch, ein Gestänge, an dem Häute zum Trocknen hingen, mit lautem Geschrei umzustoßen, und flüchtete in seine Hütte.
Hier war alles unverändert: seine Hängematte; von der Decke hängende Schnüre, um Geister fernzuhalten. Matten auf dem Boden. An einer Wand gestapelte Gefäße aus Ton und Geflecht, in denen er getrocknete Nahrung und seinen Leibschmuck aufbewahrte. Irgendjemand hatte dafür gesorgt, dass die Hütte sauber war. Ansonsten kam sie ihm so trostlos vor wie die heruntergekommene Hütte Diegos.
Er warf sich in die Hängematte. Während ihn der Schlaf übermannte, blitzten die Bilder seiner Reise in ihm auf, begleitet vom allgegenwärtigen Klopfen und Pfeifen seines Lärmgeistes – all die Widrigkeiten, die ihn mehrmals fast das Leben gekostet hätten. Als sich eine Hand nach ihm streckte, war er auf den Beinen.
«Nicht, Aymáho. Du brauchst dieses scheußliche rostige Messer nicht gegen mich zu erheben.»
Aymáho blinzelte. Es war hell geworden; er musste einen halben Tag geschlafen haben. Ihm schien es, als habe er eben erst die Augen zugemacht. Vor ihm stand Rendapu.
«Wenigstens du nimmst mich wahr», sagte er und ließ Diegos Messer sinken.
«Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich das vor Ablauf der Zeit tun soll. Noch bist du ein Geist …»
«Du irrst dich! Kann ein Geist so geschunden aussehen wie ich?»
«… und ich fürchte, du wirst es bleiben, denn nirgends», bedeutungsvoll sah sich der schmächtige Häuptling in der Hütte um, «sehe ich einen Schädel.»
«Aber ich war an der Schädelstätte.»
Aus schmalen Augen betrachtete Rendapu ihn. Zu seiner Überraschung nickte der Kazike. «Gut. Damit ist deine Aufgabe zwar nicht erfüllt, aber ich glaube dir, dass du dort warst. Eher würdest du dich selbst umbringen, als mir eine solche Lüge aufzutischen.»
Ein wenig verwirrt rieb sich Aymáho über die Stirn. «Ich muss dir berichten, dass …»
Rendapu hob die Hände. «Wir werden in drei Tagen weiterreden, wenn deine Verbannung beendet ist.» Mit diesen so gelassen geäußerten Worten machte er kehrt und verließ die Hütte. Aymáho eilte ihm nach und riss den Bastvorhang beiseite. Er wollte ihm hinterherschreien, wie lächerlich angesichts der Gefahr das Festhalten an der Verbannung war. Aber dann ließ er den Vorhang sinken. Rendapu war einfach zu stur. So wie er.
Yami raffte ihren Rock und watete ins schenkelhohe Wasser. Wie stets
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