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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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abzunehmen, denn davor waren Zugtiere gespannt. Pferde – diese Tiere gehörten ebenfalls in die Legenden über die
Anderen
. Mit ihnen hatten sie die großen Siedlungen mächtiger Stämme erobert.
    Auf den Gefährten hockten Männer; sie dösten oder unterhielten sich. Aymáho suchte sich eines, das verlassen war. Er kletterte hinauf. Vom Dach war es nicht mehr schwierig, über den Rand der Mauer zu blicken. Hier hatten die Ambue’y noch einen hüfthohen Zaun aus Stein gezogen, der aussah wie eine Aneinanderreihung geschlossener Blüten. An ihnen zog er sich hoch und sprang auf die andere Seite. Er duckte sich in die Schatten der Begrenzung.
    Nun erst sah er, dass dieser erhöhte Platz von Ambue’y geradezu überschwemmt war. Er stieß einen unterdrückten Fluch aus.
    All diese Männer trugen die gleiche schwarze Kleidung. Die gleiche schwarze, topfähnliche Kopfbedeckung.
    Abseits der Lichtkegel huschte Aymáho zu einer Ecke des Hauses. Jetzt musste er schnell sein, denn lange würde er nicht unbemerkt bleiben. Er nahm den Bogen vom Rücken, riss einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn an. Das Blasrohr nützte ihm hier nichts; seine Reichweite war zu gering. Tief atmete er ein und aus. Er würde auf die Umgrenzung aus steinernen Blüten springen und den Namen der Ameisenkönigin rufen, bis sie sich zu erkennen gab. Und dann …
    Tupan, führe meine Hände. Anhangá, gib mir Jagdglück. Jurupari, fahre unter die Anderen und schütte Furcht über ihnen aus
.
    Er spannte den Körper an, um Anlauf zu nehmen.
    Über dem Fluss schnellten Lichter in den Himmel. Hoch oben zerbarsten sie mit entsetzlich lautem Knallen zu Tausenden von blauen, roten und goldenen Leuchtpunkten, die wieder herabsegelten. Aymáhos Hand, welche die Bogensehne schon gespannt hielt, zitterte. Er wollte sie an sein gesundes Ohr pressen. Was war das für ein Spektakel, und was verursachte es? Mächtige Zauberei, eine andere Antwort gab es nicht. Die fremden Götter hatten seine Absicht entdeckt und wollten ihm Furcht einjagen. Natürlich fürchteten sich die Ambue’y nicht – es hätte ihn auch verwundert. Sie klatschten in die Hände, bekundeten mit lustvollem Aufstöhnen ihre Freude. Aber darum nannte man sie ja
die Anderen
. Weil ihre andere Welt fern allen Begreifens war.
    Ihm flößte das Himmelsschauspiel Furcht ein. Aber langsam begriff er, dass es nichts mit ihm zu tun hatte. Er ließ den Bogen sinken. Allmählich schlug sein Herz wieder wie gewohnt.
    Sein Vorhaben war gescheitert. Wenn er jetzt schrie, würden sie sich vielleicht gar nicht umwenden. Vor allem jedoch wollte er diese Himmelsgötter nicht herausfordern. Er hasste es, unverrichteter Dinge über die Umfassung klettern und hinabspringen zu müssen. Aber ein guter Jäger wusste, wann der beste Zeitpunkt zum Zuschlagen vorüber war.
    Ein Mädchen tauchte unter den Hälsen zweier Pferde auf. Sie kam ganz nah und betrachtete ihn ausgiebig. Zum ersten Mal begegnete er einem Menschen, in dessen Blick unverhohlene Bewunderung lag.
    Es war nicht weiter verwunderlich. Sie war eine seines Volkes.
    Sie war halbwegs ordentlich gekleidet. Eine schlacksige Gestalt, die versprach, in wenigen Jahren zu einer ansehnlichen Frau heranzureifen. Nur zwei Schritte blieb sie vor ihm stehen und hob eine Hand. Es schien, als wolle sie sich nach seiner Federkrone recken. Aber sie wagte es nicht.
    «So einen wie dich hab ich hier noch nie gesehen. Was wolltest du denn da oben? Du kannst von Glück reden, dass du nicht festgenommen wurdest. Hier läuft doch überall polícia herum.»
    Er deutete zum Fluss. Das eigenartige Ereignis war vorbei, dennoch war der Himmel noch rauchgeschwängert. In seinem Kopf hallte der Lärm nach. «Was war das?»
    Sie runzelte die Stirn. In dieser Stadt voller Seltsamkeiten musste sie tatsächlich überlegen, was er meinte. «Du meinst fogos – das Feuer-werk? Es ist doch heute Véspera do Ano Novo! Aber das sagt dir nichts, oder? Damit begrüßt man das neue Jahr.»
    Ein Brauch der Ambue’y, nichts weiter? «Es hat nichts mit denen zu tun, die aus Wittstocks Haus kamen?»
    «Wittstocks Haus?»
    Er deutete hinter sich.
    Ihrem Blick nach schien sie ihn für närrisch zu halten. Sie verschränkte die schmalen Arme. «Hast du überhaupt irgendeine Ahnung von der Stadt?»
    «Ich fürchte, nein.»
    «Das da ist eine Ópera. Eine
Ó-pe-ra

    Offenbar glaubte sie, er könne begreifen, nur weil sie das Wort gewichtig dehnte. Da dieses Haus offensichtlich nicht seinem

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