Die Bucht des grünen Mondes
Opfer gehörte, interessierte ihn nicht im Geringsten, was es war.
Hochnäsig funkelte sie ihn an. «Ein Senhor Wittstock wohnt da ganz bestimmt nicht.»
«Du weißt wohl nicht, wo man ihn finden kann?»
«Von dem habe ich nie gehört.»
Das verwunderte ihn nicht. Eine ausgebeutete Blattlaus wusste schließlich auch nichts von der Ameisenkönigin tief in ihrem Bau. Er wollte weitergehen, in Ruhe nachdenken. Wahrscheinlich war es besser, am Tage etwas in Erfahrung zu bringen und dann in der nächsten Nacht loszuschlagen. Sein Herz indes drängte zum Handeln.
«Komm doch mit zu Mamãe», redete das Mädchen munter weiter. «Die kennt so viele Leute! Vielleicht hast du ja Glück, und sie weiß es.»
«Mamãe! Visita!» Das Mädchen stürmte durch die Tür eines Hauses, das in der Gegend am Fluss groß und prächtig gewirkt hätte, in diesem Teil der Stadt jedoch unscheinbar war. Inzwischen wusste Aymáho, dass das Mädchen Florinda hieß – auch sie hatte ihren Ava-Namen abgelegt. Er betrat einen düsteren Gang voller Durchgänge zu schmalen Kammern. Hinter Florinda gelangte er in einen von Mauern umgebenen Garten, in dem sich eine Frau von ihrer Hängematte erhob. Aus verquollenen Augen musterte sie ihn erstaunt. Sie wechselte einige Worte mit dem Mädchen, das aufgeregt von einem Fuß auf den anderen hüpfte. Florinda wirkte stolz, einen so ungewöhnlichen Besucher mitgebracht zu haben.
Insgeheim hoffte er, hier etwas zu essen zu bekommen. Was der Kahlschädel ihm gegeben hatte, war längst nicht mehr als eine Erinnerung. Diese Frau jedoch wirkte abweisend. Sie warf dem Mädchen eine scharfe Bemerkung zu, dass es erschrocken zu Boden blickte, wo ein Affe, bekleidet wie ein Mensch, in einem Körbchen schlief.
Dennoch trat die Frau näher. Sie war dick; ihre schweren Brüste waren unbedeckt, wie es für diese Stadt nicht üblich war. Mit kühlen Fingerspitzen berührte sie die Falkenzeichnungen auf seiner Schulter.
«Sie sagt, du solltest lieber wieder aus der Stadt verschwinden», sagte Florinda. «Manaus ist kein Ort für einen unberührten Mann.»
Unberührt … Aymáho ahnte, was die Frau damit meinte. Aber er war ja längst berührt; all diese Abscheulichkeiten hatten seine Seele beschmutzt. «Manaus?
Mutter der Götter?
So heißt die Stadt?»
«Ganz früher lebte hier ein Stamm, der sich Manaos nannte», plapperte das Mädchen mit neuem Eifer drauflos. «Bei den
Anderen
bedeutet der Name allerdings ‹Mutter Gottes›. Also die Mutter von Jesus Christus. Er ist der Sohn Gottes. Es gibt nur einen Gott. Aber das sagt dir alles gar nichts, nicht wahr?»
Er dachte an seine Begegnung mit dem Schwarzgewandeten. «Nein, nichts! Was meinst du damit, es gäbe nur einen Gott?»
«Dass es die Götter gar nicht gibt.»
Seine Stirn schmerzte von dem sinnlosen Gerede. Oder war es die Anstrengung des Tages, die ihn auf eine der steinernen, mit Moos überwucherten Bänke zwang, die rundum an den Mauern standen? Auch die Umrandungen vor den hochgelegenen Türen waren aus Eisen, mit zierlichen Blütenmustern. Die Menschen hier mochten es anscheinend, Pflanzen aus Material zu erschaffen, das hart und tot war.
Ein Ambue’y trat an das Gitter, legte die Hände darauf und starrte Aymáho feindselig an. «Gibt es Probleme, Sandrina?»
Ohne ihn weiter zu beachten, schüttelte die Frau den Kopf. Er zog sich zurück.
«Weshalb spricht sie nicht unsere Sprache?», fragte Aymáho.
Florinda zuckte mit den Achseln. «Sie lebt schon so lange hier … Sie hat sie einfach vergessen. Siehst du die Narben an ihren Lippen?» Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern. Er wartete, dass sie mehr erzählte, doch unter dem strengen Blick der Frau sagte sie nur: «Ich habe die Sprache nicht von ihr gelernt, sondern von den anderen Frauen. Wir nennen sie alle Mamãe, aber sie ist nicht unsere Mutter.»
«Den anderen Frauen?»
«Indiofrauen.»
«In-dio …»
«Ava-Frauen. Es werden immer wieder welche hierhergebracht.»
Endlich verstand er. Dies war einer der Orte, von denen Diego erzählt hatte. Wo man entführte Frauen seines Volkes zusammenpferchte und den Männern der Ambue’y anbot wie ein erlegtes Stück Fleisch. «Ich töte den Mann für sie», er wies mit dem Kopf hinauf zu den Türen. «Wenn sie es wünscht.»
Florinda prustete in ihre Hand. «Du meinst das ernst, ja?»
«Natürlich. Sag es ihr.»
«Ganz bestimmt nicht!»
«Dann frag sie endlich, ob sie weiß, wo Wittstock lebt.»
Florinda übersetzte es
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