Die Bücher und das Paradies
(ein
Mönchlein im 14. Jahrhundert schreibt nicht wie Gadda
und erinnert sich nicht wie Proust); dagegen mußte im
Foucaultschen Pendel eine Vielzahl von Sprachen ins
Spiel kommen – die gebildet-archaisierende von Aglié, die
pseudodannunzianische von Ardenti, die desillusioniert
und ironisch (gewollt und erlitten) literarische von Belbo
in seinen geheimen files , die kaufmännische und
aufgeblasene von Garamond, dazu die ständig witzelnden
Dialoge der drei Lektoren bei ihren unverantwortlichen
Phantasien, in denen sich gelehrte Bezugnahmen mit
Wortspielen auch dubiosen Geschmacks vermischen. Aber
was Maria Corti einmal als »sprunghafte Registerwechsel«
definiert hat7 (und ich bin ihr für den Hinweis dankbar),
war nicht die Folge einer einfachen Stilwahl, sondern
vorgegeben durch die je besondere Art der Welt, in der
das Geschehen spielte.
Bei der Insel des vorigen Tages war dann die Art der
Ausgangswelt nicht nur bestimmend für den Stil, sondern
sogar für die Struktur des Gesprächs und Dauerkonflikts
7 Maria Corti, »I giochi del Piano«, in L’indice dei Libri del Mese , 10, 1988, S. 14 – 15.
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zwischen Erzähler und Hauptfigur mit daraus folgender
Einbeziehung des Lesers, der immer wieder als Zeuge und
Mitwisser jenes Konflikts angerufen wird. Bedenken wir,
im Foucaultschen Pendel spielte das Geschehen in
unseren Tagen, so daß sich das Problem der Wieder-
verwendung einer vergangenen Sprachform nicht stellte.
Im Namen der Rose spielte es in einer viele Jahrhunderte zurückliegenden Zeit, in der eine andere Sprache
gesprochen wurde, jenes Kirchenlatein, das so oft (nach
Ansicht mancher zu oft) eingestreut wird, um den Leser
daran zu erinnern, daß sich die Geschichte in einer fernen
Zeit abspielt. Darum war das stilistische Vorbild zwar
mittelbar das der damaligen Chronisten, aber unmittelbar
das der modernen Übersetzungen, in denen wir sie
gewöhnlich lesen (zudem hatte ich meine Vorkehrungen
getroffen und eigens darauf hingewiesen, daß ich eine
neugotisch-französische Übersetzung einer mittelalter-
lichen Chronik bearbeitete). In der Insel dagegen konnte meine Hauptfigur nicht anders als barock reden, aber ich
konnte nicht im Barockstil schreiben, da ich sonst ris-
kierte, die Parodie jener alten Handschrift zu fabrizieren,
die Manzoni am Anfang der Promessi Sposi als
ungenießbar verwirft. Daher brauchte ich einen Erzähler,
der sich bald über die verbalen Ausschweifungen seines
Protagonisten erbost, bald ihnen zum Opfer fällt und sie
dann durch Appelle an den Leser abzumildern sucht.
So haben mir drei verschiedene Welten drei ver-
schiedene »Stilübungen« auferlegt, die dann im Laufe des
Schreibens zu drei verschiedenen Denk- und Sehweisen
wurden, in denen ich mich so selbstverständlich bewegte,
daß ich versucht war, selbst meine Alltagserfahrungen
während dieser Zeiten in ihre Begriffe zu übersetzen.
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Die Ausnahme Baudolino
Bisher habe ich gesagt, daß man a) von einer Ideen-
Keimzelle ausgeht und daß b) die Konstruktion der Welt
den Stil determiniert. Meine letzte erzählerische Erfah-
rung, Baudolino , scheint diese beiden Prinzipien zu widerlegen. Was die Ideen-Keimzelle angeht, so hatte ich
mindestens zwei Jahre lang viele davon, und wenn man zu
viele Ideen-Keimzellen hat, ist das ein Zeichen dafür, daß
sie keine Keimzellen sind. Tatsächlich hat jede von ihnen
nur einzelne, auf wenige Kapitel begrenzte Situationen
erbracht, nicht die Gesamtstruktur des Romans.
Die erste Idee verrate ich nicht, denn ich habe sie
aufgegeben – aus verschiedenen Gründen, vor allem weil
es mir nicht gelungen ist, sie zu entwickeln –, und
womöglich reserviere ich sie mir, wer weiß, für einen
fünften Roman. Sie wurde jedoch von einer anderen
begleitet, die sich auf den Topos des Mordes in einem
geschlossenen Raum reduzieren läßt, und wie man sieht,
wenn man den Roman liest, habe ich diesen Topos nur für
das Kapitel über Friedrichs Tod verwendet.
Die zweite Idee war, daß die Schlußszene zwischen den
mumifizierten Leichen in der Kapuzinergruft von Palermo
spielen sollte (tatsächlich war ich mehrmals dorthin
gegangen und hatte mir zahlreiche Fotos der Örtlichkeit
und einzelner Mumien gemacht). Wer den Roman gelesen
hat, weiß, daß diese Idee für den Showdown zwischen
Baudolino und dem Poeten benutzt worden ist, aber in der
Ökonomie des Romans hat sie nur eine marginale
Funktion, eine rein
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