Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
längst
    auswendig konnte; und wenn es in jener Szene so etwas
    wie ein Glücksgefühl gibt, dann liegt das daran, daß sie
    entstanden ist wie eine Jam Session: Man spielt und läßt
    sich gehen, man nimmt auf, und was da ist, ist da.
    Tatsächlich ist das Schöne am Computer, daß er die
    Spontaneität ermutigt: Man schreibt rasch und in einem
    Zug herunter, was einem durch den Kopf geht. Hinterher
    kann man ja immer noch korrigieren und variieren.
    Der Gebrauch des Computers betrifft tatsächlich vor
    allem das Problem der Korrekturen und folglich der
    Varianten.
    Der Name der Rose war in seinen Endfassungen mit der
    Schreibmaschine geschrieben. Danach korrigierte ich,
    tippte neu, überklebte Passagen, gab das Ganze zum
    Abtippen und fing von neuem an zu korrigieren, zu
    ersetzen und zu überkleben. Aber mit der Schreibmaschine
    kann man das Korrigieren nur bis zu einem bestimmten
    Punkt treiben, dann wird man das Kleben und
    Neuabtippen leid und gibt den Text zum Satz. Den Rest
    kann man immer noch in den Fahnen korrigieren.
    Mit dem Gebrauch des Computers (das Foucaultsche
    Pendel habe ich mit Wordstar 2000 geschrieben, die Insel des vorigen Tages mit Word
    5 und Baudolino mit
    Winword in den diversen releases der letzten Jahre)
    ändern sich die Dinge. Man ist versucht, ad infinitum zu
    409
    korrigieren. Man schreibt, druckt aus und liest sich. Und
    korrigiert. Dann tippt man die korrigierten Stellen neu und
    druckt sie wieder aus. Ich habe die verschiedenen
    Fassungen (bis auf einige Lücken) aufbewahrt. Aber es
    wäre ein Irrtum zu meinen, daß morgen ein Varianten-Fan
    den ganzen Schreibprozeß rekonstruieren könnte. Denn in
    der Praxis schreibt man (am Computer), druckt aus,
    korrigiert (mit der Hand) und überträgt die Korrekturen in
    den Computer, aber dabei wählt man schon wieder andere
    Varianten, das heißt, man überträgt nicht genau die
    Korrekturen, die man mit der Hand geschrieben hat. Der
    penible Variantenphilologe fände noch Varianten
    zwischen der letzten handschriftlichen Korrektur im
    Papierausdruck und der neu ausgedruckten Fassung.
    Wollte man zu wirklich unnützen Doktorarbeiten ermun-
    tern, hier gäbe es ein weites Feld zu beackern. Denn mit
    der Existenz des Computers ändert sich die innere Logik
    der Varianten. Sie repräsentieren nicht länger mehr eine
    Sinnesänderung noch die endgültige Entscheidung. Da der
    Schreibende weiß, daß die Entscheidung jeden Moment
    widerrufen werden kann, probiert er viele aus und kehrt
    oft zum früheren Zustand zurück.
    Ich glaube wirklich, daß die Existenz der elektronischen
    Schreibwerkzeuge die Kritik der Varianten grundlegend
    ändern wird, bei aller Hochachtung vor dem Geist unserer
    großen Philologen. Vor Jahren habe ich mich einmal mit
    den Varianten von Manzonis Inni sacri beschäftigt. Damals war die Ersetzung eines Wortes von einschneidender
    Bedeutung. Heute nicht: Ich kann morgen auf das Wort
    zurückgreifen, das ich gestern gestrichen habe. Was zählt,
    ist höchstens der Unterschied zwischen der ersten
    Manuskript- und der letzten Druckfassung. Der Rest ist
    ein Hin und Her, das oft nur vom momentanen Blutdruck
    bestimmt wird.
    410
    Freude und Traurigkeit
    Mehr will ich nicht sagen über die Art und Weise, wie ich
    meine Romane schreibe. Außer daß es für mich notwendig
    ist, viele Jahre daran zu arbeiten. Ich verstehe diejenigen
    Autoren nicht, die jedes Jahr ein Buch schreiben (es
    können sehr große Autoren sein, ich bewundere sie, aber
    ich beneide sie nicht). Das Schöne am Schreiben eines
    Romans ist nicht das Schöne einer Live-Sendung, sondern
    das Schöne einer sorgfältig vor- und nachbereiteten
    Aufzeichnung.
    Ich bin immer mißmutig, wenn ich spüre, daß einer
    meiner Romane dem Ende entgegengeht, das heißt, wenn
    es nach seiner inneren Logik Zeit wird, daß er (daß sie,
    daß es) endet und ich aufhöre. Wenn ich spüre, daß
    weitermachen nur heißen würde, ihn zu verschlechtern.
    Das Schöne, die wahre Freude ist, sechs, sieben, acht
    Jahre lang (möglichst ewig) in einer Welt zu leben, die
    man sich nach und nach erbaut, bis sie die eigene wird.
    Die Traurigkeit beginnt, wenn der Roman zu Ende ist.
    Allein deshalb würde man sich wünschen, sofort einen
    nächsten zu beginnen. Aber wenn er nicht schon
    bereitsteht und einen erwartet, hat es keinen Zweck, sich
    zu beeilen.
    Autor und Leser
    Nun möchte ich allerdings nicht, daß diese letzten
    Behauptungen prompt zu einer anderen ermuntern, die
    allen

Weitere Kostenlose Bücher