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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Sollte ich einen modernen Erzäh-
    ler sprechen lassen, dessen Stil die Spontaneität Baudo-
    linos beeinträchtigt hätte? Hier kam mir eine weitere fixe
    Idee zu Hilfe, die mir seit geraumer Zeit im Kopf
    herumspukte, ohne daß ich jemals gedacht hätte, sie bei
    dieser Gelegenheit verwenden zu können: eine Geschichte
    zu erzählen, die in Byzanz spielt. Warum? Weil ich sehr
    wenig von der byzantinischen Kultur wußte und noch nie
    in Konstantinopel gewesen war. Vielen mag das als ein
    sehr schwacher Grund erscheinen, um etwas erzählen zu
    wollen, was in Konstantinopel spielt, zumal Konstanti-
    nopel mit Friedrich Barbarossa nur sehr am Rande zu tun
    hatte. Aber manchmal entscheidet man sich für eine
    Geschichte nur, um sie besser kennenzulernen.
    Gesagt, getan. Ich fuhr nach Konstantinopel, las viel
    über das alte Byzanz, machte mich vertraut mit seiner
    Topographie und stieß auf Niketas Choniates mit seiner
    »chronologischen Erzählung« ( Diēgēsis chronikē ) der

    Bompiani 1992 [dt. Wie man mit einem Lachs verreist , Hanser 1993, S. 173 – 187].
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    byzantinischen Geschichte.11 Ich hatte den Schlüssel
    gefunden, die Art und Weise, wie ich die »Stimmen«
    meiner Erzählung artikulieren konnte: Ein gleichsam
    gestaltloser Erzähler gibt das Gespräch zwischen Niketas
    und Baudolino wieder, läßt die gelehrten und höfischen
    Reflexionen des Byzantiners mit den pikaresken Erzäh-
    lungen Baudolinos alternieren, so daß weder Niketas noch
    gar der Leser jemals begreifen kann, ob und wann
    Baudolino lügt, und das einzig Gesicherte ist, daß er
    behauptet, ein Lügner zu sein (Paradox des Lügners und
    des Kreters Epimenides).
    Damit hatte ich das Spiel der »Stimmen«, aber noch
    nicht die Stimme von Baudolino. Und hier widerlegte ich
    das zweite meiner Prinzipien. Einige Zeit vorher, während
    ich noch die Chroniken der Eroberung Konstantinopels
    durch die Kreuzfahrer las (und beschloß, diese Geschichte
    zu erzählen, die schon in den Texten von Villehardouin,
    Robert de Clary und Niketas so romanhaft klingt), hatte
    ich nebenbei, als Zeitvertreib auf dem Land, jene erste
    Schreibübung Baudolinos in einem hypothetischen Pidgin-
    Piemontesisch des 12. Jahrhunderts verfaßt, die jetzt den
    Roman eröffnet. Zwar habe ich diese Seiten in den
    folgenden Jahren immer wieder umgeschrieben, nach
    Konsultation historischer und Dialektwörterbücher und
    aller erreichbaren Dokumente, aber schon bei jener ersten
    Fassung war mir durch den Sprachstil klargeworden, wie
    ich Baudolino denken und reden lassen mußte. So ist
    letztlich Baudolinos Sprache nicht durch den Bau einer
    Welt entstanden, sondern der Reiz dieser Sprache hat zum
    Bau einer Welt geführt.

    11 Dt. Nicetas Acominatus , übers., eingeleitet u. erklärt von Franz Grabler (Byzantinische Geschichtsschreiber Bd. 7 – 9), Graz, Styria, 1958 (A. d. Ü.).
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    Ich weiß nicht, wie ich diese Umkehrung theoretisch
    erklären soll. Mir bliebe nichts anderes übrig, als Walt
    Whitman zu zitieren: »Ich widerspreche mir? Wohlan, ich
    widerspreche mir.« Wäre da nicht der Umstand, daß mich
    – vermutlich – der Rückgriff auf dialektale Sprachmuster
    in meine Kindheit und meine Geburtsstadt zurückgeführt
    hat, also in eine bereits präkonstituierte Welt, zumindest in
    der Erinnerung.
    Zwänge und Zeitstruktur
    Allerdings, ob nun Welt zur Sprache oder Sprache zur
    Welt führt, man verbringt nicht zwei bis drei Jahre damit,
    eine Welt zu errichten, als existierte diese Welt nur für
    sich, unabhängig von der Geschichte, die man in ihr
    geschehen lassen will. Diese »kosmogonische« Phase geht
    eng einher (in einem Maße, das ich beim besten Willen
    nicht auf eine Formel oder ein Programm zurückführen
    könnte) mit einer Hypothese über die Grundstruktur des
    Romans sowie der Welt, die man errichtet. Und diese
    Struktur besteht im wesentlichen aus Zwängen und
    Zeitvorgaben.
    Zwänge sind von grundlegender Bedeutung für jede
    künstlerische Operation. Einen Zwang wählt der Maler,
    der beschließt, lieber Öl- als Temperafarben zu nehmen
    und lieber auf Leinwand als auf frischen Putz zu malen;
    der Musiker, der sich für eine Grundtonart entscheidet
    (danach kann er modulieren und modulieren, aber am
    Ende muß er zu ihr zurück); der Dichter, der sich den
    Käfig des Endreims oder eines Versmaßes baut. Und man
    glaube nicht, daß der avantgardistische Maler, Musiker
    oder Dichter – der gerade diese Zwänge zu vermeiden
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    scheint – sich

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